Im Folgenden sollen die betriebswirtschaftlichen Besonderheiten der wichtigsten Vertriebswege im Überblick dargestellt werden. Konkret werden diskutiert:
• Direktvertrieb,
• Ausschließlichkeitsorganisationen,
• Makler,
• Mehrfachagenten,
• Bancassurance,
• Strukturvertriebe,
• Captives.
Der Schwerpunkt liegt dabei auf einer Beschreibung der in den vorangegangenen Abschnitten erarbeiteten Unterscheidungskriterien der einzelnen Vertriebswege bzw. Absatzorgane. Für die rechtlichen Grundlagen wird auf diesem Versicherung-Artikel verwiesen.
Direktvertrieb
Der Direktvertrieb von Versicherungsprodukten stellt eine Form des unternehmenseigenen Absatzes dar und schließt die Einbeziehung von Vertretern oder unternehmensfremden Absatzorganen komplett aus. Vielmehr wird das Versicherungsunternehmen selbst zum Absatzorgan, der Absatz wird meist zentral über Internet, Post oder Telefon abgewickelt. Speziell durch das Aufkommen des Internets haben sich in den vergangenen Jahren die Kommunikationsmöglichkeiten zwischen Direktversicherern und potenziellen Antragstellern bzw. Versicherungsnehmern deutlich erweitert. Dem reinen Internetvertrieb kommt dabei meist nur eine unterstützende Funktion zu, nicht zuletzt müssen Vertragsdokumente und Policen auf postalischem Weg ausgetauscht werden (unter anderem Problem der elektronischen Unterschrift).
In der betriebswirtschaftlichen Realität ist der Begriff „Direktvertrieb“ recht weit gefasst, einige meist zu den Direktversicherern gezählte Unternehmen unterhalten beispielsweise Beratungs- oder Servicezentren, die in der Regel mit fest angestellten Mitarbeitern besetzt sind. In Einzelfällen dienen diese Zentren auch der Schadenregulierung, die für Direktversicherer ohne eigene Außendienstorganisation grundsätzlich ein großes Problem darstellt. Insgesamt verlaufen die Grenzen zwischen Direktversicherern und Nichtdirektversicherern daher fließend.
Der Direktvertrieb ist aus Sicht des Versicherungsnehmers vergleichsweise kostengünstig (geringere Aufwendungen für den Abschluss von Versicherungsverträgen durch Verzicht auf Courtagen und Provisionen), erfordert aber eine intensive selbstständige Auseinandersetzung mit Versicherungsbedingungen, Beitragsmodellen und anderen Details eines Versicherungsverträges. Dies schränkt den Spielraum von Direktversicherern bei der Produktgestaltung naturgemäß ein und erfordert häufig eine Beschränkung auf erklärungsarme Standardprodukte (Risikolebensversicherung oder die dem Verbraucher recht vertraute Kfz-Haftpflichtversicherung).
Da die Absatzinitiative beim Direktvertrieb allein vom potenziellen Versicherungsnehmer ausgehen muss, sind Direktversicherer gezwungen, besonders intensiv durch Werbung auf sich aufmerksam zu machen. Einige Direktversicherer haben zu diesem Zweck enge Kooperationen mit Versandhäusern aufgebaut, in den Katalogen der Versandhäuser finden sich zum Beispiel heraustrennbare Postkarten für eine erste unverbindliche Kontaktaufnahme. Diese Werbemaßnahmen haben den großen Vorteil, dass sie primär eine Klientel ansprechen, die durch ihr Interesse am Versandhandel schon eine gewisse Affinität für den Direktvertrieb unter Beweis gestellt hat.
Viele Direktversicherungsunternehmen sind Tochtergründungen von Versicherungskonzernen, die bereits andere Versicherungstöchter der gleichen Sparte haben. Hintergrund ist der Wunsch nach einer Verbreiterung des Vertriebswege-Mix (Multichannelvertrieb), ohne tradierte Vertriebswege zu kannibalisieren. In einigen Fällen wird auch versucht, für andere Vertriebswege unattraktive Versicherungsprodukte, wie etwa Auslandsreisekrankenversicherungen (Niedrigbeitragsprodukt mit entsprechend niedriger Abschlussprovision), nur noch direkt zu vertreiben.
Ausschließlichkeitsorganisationen
Der mit Abstand bedeutendste und prägendste Vertriebsweg der deutschen Versicherungswirtschaft ist der Ausschließlichkeitsvertreter nach §§84 ff. HGB (auch Einfirmenvertreter oder Exklusivagent; umgangssprachlich gern als „84er“ bezeichnet). Hierbei handelt es sich um wirtschaftlich weitgehend selbstständige, aber rechtlich über einen Agenturvertrag gebundene Versicherungsvertreter, die meist vertragliche Beziehungen zu allen Versicherungstöchtern eines Versicherungskonzerns unterhalten (daher oft auch Einkonzernvertreter) und für diese Unternehmen Vertriebsaufgaben wahrnehmen. Zu den klassischen Vertriebsaufgaben treten dabei in der Regel – eine Folge der Abhängigkeit von nur einem Versicherungskonzern bzw. -unternehmen – Aufgaben im Umfeld von Antragsbearbeitung, Vertragsverwaltung oder Schadenregulierung. In der öffentlichen Wahrnehmung wird der Ausschließlichkeitsvertreter daher oftmals als Mitarbeiter des Versicherers wahrgenommen.
Organisiert wird der Ausschließlichkeitsvertrieb meist über kleinere Geschäftsstellen, die gegenüber der Zentrale oder übergeordneten Filialbetrieben weisungsgebunden sind (Generalagenturen oder auch Subdirektionen) und vor Ort Versicherungsbestände betreuen. Die Generalagentur wird dabei wie ein selbstständiges Unternehmen betrieben, zum Beispiel in der Rechtsform einer GmbH. In den meisten Fällen besitzen Ausschließlichkeitsagenturen nur eine Vermittlungsvollmacht, nicht jedoch eine Vollmacht, Versicherungsverträge endgültig abzuschließen (Problem der Risikoprüfung). Mehrere Agenturen in einem Gebiet werden normalerweise unter der Führung eines Organisationsleiters (Orgaleiter) des jeweiligen Versicherungsunternehmens zusammengefasst.
Die rechtliche Bindung an einen Versicherer (hier synonym bezogen auf einen Versicherungskonzern) bringt dem Ausschließlichkeitsvertreter einige entscheidende Vorteile:
• Unterstützung mit Verkaufsmaterialien (einschl. Angebotssoftware; an den Kosten wird die Agentur jedoch meist beteiligt),
• Nutzen durch allgemeine Werbemaßnahmen des Versicherers,
• teilweise Übernahme des betriebswirtschaftlichen Risikos (Gewährung von Garantiezahlungen, vor allem in der Anfangszeit),
• Möglichkeit zur Teilnahme an Schulungsmaßnahmen,
• Betreuung durch Agenturberater des Versicherers, die den Agenten auch in betriebswirtschaftlichen Fragen unterstützen.
Die Vergütung erfolgt meist über eine Mischung aus erfolgsunabhängigen Garantieleistungen und erfolgsabhängigen Provisionszahlungen, die sich in Abschlussprovisionen und laufende Provisionen (für die Bestandsbetreuung) aufteilen. Die wachsende Einsicht vieler Versicherungskonzerne in den Wert einer langfristigen Kundenbindung hat in den vergangenen Jahren zu einer Akzentverschiebung hin zu mehr Bestandspflege geführt, entsprechend haben einige Gesellschaften ihre Abschlussprovisionen zugunsten höherer laufender Provisionen (auch Bestandspflegeprovisionen) reduziert. Aus Sicht des Versicherungskonzerns ermöglicht der Vertrieb über wirtschaftlich selbstständige Ausschließlichkeitsvertreter ein höheres Maß an erfolgsabhängiger Vergütung, als dies mit fest angestellten Vertriebsmitarbeitern denkbar wäre (tarifvertragliche Bindungen bei der Entgeltgestaltung vorherrschend). Hinzu kommt, dass ein dichtes Netz aus wirtschaftlich selbstständigen Ausschließlichkeitsvertreter dem Versicherer auch eine hohe optische Präsenz in der Öffentlichkeit sichert.