Die statische Aufbauorganisation beschreibt die innere Struktur eines Unternehmens, die dynamische Ablauforganisation die darin stattfindenden Prozesse. Zusammengenommen definieren beide Begriffe die Organisation eines Unternehmens, also die Art und Weise, wie die einzelnen Unternehmensteile zueinander stehen und miteinander interagieren.
Der spezifische Charakter des Versicherungsgeschäftes hat naturgemäß weitreichende Auswirkungen auf den Aufbau und die im Unternehmen ablaufenden Prozesse. Ein besonderes Problem dabei ist die klare Abgrenzung der Außendienststrukturen von den Innendienststrukturen, vor allem für den Begriff „Außendienst“ existieren in Theorie und Praxis mehrere Modellvorstellungen, die jeweils ein unterschiedliches Selbstverständnis von Außendienst bedingen und sich in der Aufbauorganisation des Außendienstes niederschlagen.
Die Ablauforganisation in Versicherungsunternehmen wird ebenfalls stark von den Eigenheiten des Versicherungsgeschäftes geprägt und beschäftigt sich primär mit Prozessabläufen zum Abschluss und zur Verwaltung von Versicherungsverträgen sowie mit Fragen der effizienten Schadenregulierung. Die hier zur Anwendung kommenden Prozesse lassen sich grundsätzlich leichter modifizieren als die Aufbauorganisation des Unternehmens, entsprechend häufig kommt es zu Veränderungen in der Ablauforganisation. Hauptantriebskraft dieser Veränderungen ist der Wunsch nach Kostensenkungen, der freilich mit dem Kundenbedürfnis nach umfassendem Service in Einklang gebracht werden muss.
Grundlagen der Aufbau- und Ablauforganisation
Organisation als betriebswirtschaftlicher Begriff beschreibt den hierarchischen Aufbau und die Funktionsweise betrieblicher Strukturen. Sie bildet damit im Allgemeinen auch hierarchische Anordnungen im Unternehmen ab und ordnet dem einzelnen Mitarbeiter Aufgaben, Weisungsbefugnisse und Verantwortlichkeiten zu.
Als betriebswirtschaftliches Phänomen lässt sich Organisation indirekt erklären als Folge der Unternehmensziele bzw. der daraus resultierenden Gesamtaufgabe des Unternehmens (nicht wörtlich zu verstehen als eine Aufgabe; gemeint ist die Gesamtheit aller Maßnahmen, die zur Erreichung der Unternehmensziele erforderlich sind). Dabei wird davon ausgegangen, dass zunächst die Gesamtaufgabe in viele Teilaufgaben zerlegt wird, die dann wiederum im Zuge einer Aufgabensynthese zu Bündeln artverwandter Aufgaben zusammengefasst werden.
Die hierdurch entstehenden Stellen sind die kleinsten organisatorischen Aktionseinheiten innerhalb des Unternehmens, ihre Bildung erfolgt zumeist personenunabhängig. Jede Stelle wird – abhängig von ihren Aufgaben – mit einer geeigneten Stellenbeschreibung versehen und mit Kompetenzen und Verantwortlichkeiten ausgestattet. Ist eine Stelle gegenüber anderen Stellen im Unternehmen weisungsbefugt, wird die Stelle zu einer Instanz und nimmt Führungsaufgaben wahr.
Zustandekommen von Stellen
Einzelne Stellen werden zu Abteilungen zusammengefasst. Einer Stelle fällt dabei in der Regel die Weisungsbefugnis innerhalb der Abteilung zu, sie wird zu einer Instanz. Mehrere Abteilungen können je nach Größe eines Unternehmens zu Bereichen zusammengefasst werden, die wiederum direkt einzelnen Vorstandsressorts unterstellt sein können. Daraus ergibt sich eine grobe Untergliederung des Gesamtunternehmens in vier Hierarchieebenen: Unternehmensführung (Vorstand), Bereiche, Abteilungen und Stellen.
Hierarchische Unterstellungssystematik (vier Hierarchieebenen)
Beispiel:
Ein Produktmanager in einem Lebensversicherungsunternehmen bildet innerhalb des Marketings eine Stelle. Weitere Stellen innerhalb dieser Abteilung sind: Werbung, Messen & Events und Verkaufsförderung. Zusammen mit zwei weiteren Abteilungen, der Öffentlichkeitsarbeit und der Vertriebsförderung, gehört die Marketingabteilung zum Bereich Kommunikation & Vertrieb, der direkt einem Vorstandsmitglied unterstellt ist.
Produktmanager und übergeordnete Führungsebenen
Als statisches Konstrukt bilden alle Stellen, Abteilungen und Bereiche zusammengenommen die Aufbauorganisation eines Unternehmens. Die zwischen einzelnen Stellen, Abteilungen und Bereichen stattfindenden Prozesse bilden hingegen die Ablauforganisation, den dynamischen Aspekt von Organisation. Aufbau- und Ablauforganisation sind damit die zwei Seiten einer Medaille und beschreiben letztlich dasselbe organisationstheoretische Objekt. In der Regel wird der statischen Aufbauorganisation dabei die größere Bedeutung zugeschrieben, da sie im Gegensatz zu einzelnen Prozessabläufen schwieriger zu modifizieren und damit auch dauerhafter als die Ablauforganisation ist.
Die Kernfragen bei der Ausgestaltung einer Aufbauorganisation lauten:
• Inwieweit sollen einzelne Aufgaben zusammengefasst bzw. getrennt werden? (Frage nach der Zentralisierung von Aufgaben)
• Welches Maß an Unterschiedlichkeit dürfen Teilaufgaben aufweisen, um im Rahmen der Aufgabensynthese noch sinnvoll zusammengeführt werden zu können? (Frage nach der Spezialisierung von Stellen)
Je zentralisierter die Aufgabenerfüllung auf einen bestimmten Mittelpunkt hin vorgenommen wird, umso mehr Teilaufgaben werden letztlich in einer Stelle gebündelt. Umgekehrt bedeutet ein hohes Maß an Dezentralisierung, dass sich gleichartige Aufgaben in mehreren, etwa geografisch voneinander separierten Stellen gleichzeitig finden.
Beispiel:
Bei einigen Versicherungsunternehmen findet die Antragsbearbeitung zentral in der Hauptverwaltung statt (hohes Maß an Zentralisierung), andere haben derartige Aufgaben in größere Filialbetriebe verlagert (Dezentralisierung). In diesem Falle beschränken sich die Filialbetriebe nicht nur auf den Abschluss und die Betreuung von Versicherungsverträgen, sondern führen auch Aufgaben der Antragsund Risikoprüfung durch. Im Extremfall kann ein Filialbetrieb durch Herstellung einer vollständigen Absatz- und Kostenverantwortlichkeit viele Wesenszüge eines Versicherungsunternehmens annehmen und zu einem eigenständigen Profit Center werden.
Dezentralisierung geht naturgemäß mit einem hohen Maß an Entscheidungskompetenz vor Ort einher, kann sich jedoch unabhängig von der geografischen Lage auch auf Produktionsfaktoren wie Menschen oder Maschinen beziehen. Je höher die Spezialisierung bei der Aufgabensynthese, umso ähnlicher fallen die Teilaufgaben aus, die in einer Stelle zusammengeführt werden. Eine hochgradig spezialisierte Stelle in einer Aufbauorganisation zeichnet sich folglich durch entsprechend tiefes Fachwissen und weitgehende Erfahrungen mit einer beschränkten Zahl relativ ähnlicher Teilaufgaben aus. Alternativ kann sich der Begriff der Spezialisierung auch auf betreute Kundengruppen, geografische Regionen oder die jeweiligen Objekte der Verrichtung (Schadenbearbeitung, Vertragsverwaltung etc.) beziehen.
Beispiel:
In einigen Versicherungsunternehmen wird bei Außendienstmitarbeitern bewusst eine Spartenpräferenz gefördert, die Außendienstmitarbeiter folglich zu Altersvorsorgespezialisten oder Krankenversicherungsspezialisten ausbildet. Der Vorteil bei diesem Organisationskonzept ist vor allem im hohen Spezialwissen der Vermittler zu sehen. Im Gegensatz dazu suchen andere Versicherer bewusst den Generalisten, der über ein breites Fachwissen in allen Sparten verfügt, um eine Rundum-Beratung der Kunden zu gewährleisten.
Sowohl der Grad ah Zentralisierung als auch der Grad an Spezialisierung stellen damit grundlegende Entscheidungen im Rahmen der Stellenbildung dar, die weitreichende Auswirkungen auf die Wahrnehmung eines Unternehmens in der Öffentlichkeit haben. Die nun zu entwickelnde Aufbauorganisation vereinigt naturgemäß unterschiedliche strukturelle Elemente, die wichtigen Bestimmungsparametern der unternehmerischen Tätigkeit entsprechen:
• Regiobezogene Aufbauorganisationen werden durch eine Einteilung nach geografischen Aspekten bestimmt.
Regiobezogene Aufbauorganisation (schematisch)
• Produktbezogene Aufbauorganisationen stellen einzelne Produkte oder Produktgruppen in den Mittelpunkt, also etwa einzelne Versicherungssparten.
Produktbezogene Aufbauorganisation (schematisch)
Aufgrund des Spartentrennungsgebotes sind produktbezogene Gestaltungsparameter in der Aufbauorganisation von Versicherungskonzernen vorherrschend.
• Eine kundengruppenbezogene Aufbauorganisation wird durch die Unterscheidung in verschiedene Kundengruppen beherrscht, denkbar ist zum Beispiel die Unterscheidung in Firmenkunden und Privatkunden.
Kundengruppenbezogene Aufbauorganisation (schematisch)
• Eine an betriebswirtschaftlichen Funktionen orientierte Aufbauorganisation wird schließlich als funktionsbezogen bezeichnet.
Funktionsbezogene Aufbauorganisation (schematisch)
In der Praxis auftretende Modelle von Aufbauorganisation weisen normalerweise mehrere der genannten Bestimmungsparameter parallel auf. Der auf oberster Hierarchieebene auftretende Bestimmungsparameter wirkt dabei besonders prägend auf die Aufbauorganisation. Die weitaus meisten Unternehmen sind in der Form eines Liniensystems aufgebaut. Liniensysteme zeichnen sich dadurch aus, dass alle Organisationseinheiten in eine strenge hierarchische Struktur eingebunden sind, die sich in mehrere Führungsebenen gliedert. Man unterscheidet Einlinien-, Mehrlinien- und Stabliniensysteme.
Speziell in Einliniensystemen erhalten alle Stellen nur von einer übergeordneten Instanz Anweisungen. Einer Instanz können umgekehrt aber mehrere untergeordnete Stellen zugeordnet sein. Informationen werden in Einliniensystemen nur auf dem strengen Dienstweg über die jeweils übergeordnete Stelle ausgetauscht, was einerseits klare Zuständigkeiten und Kommunikationspfade, andererseits aber auch eine gewisse Schwerfälligkeit bedingt.
Beispiel:
in der folgenden Aufbauorganisation bildet S1 die oberste Führungsebene, die Stellen S2 und S3 sind ihr direkt unterstellt:
Einfaches Fanliniensystem
In diesem Beispiel ist eine direkte Kommunikation zwischen S4 und S7 relativ mühsam, da alle übergeordneten Stellen (S1, S2 und S3) mit eingeschaltet werden müssen. In Mehrliniensystemen kann die Führungsverantwortung für eine Stelle von mehreren übergeordneten Stellen geteilt werden (Mehrfachunterstellung). Der strenge Dienstweg ist damit aufgehoben, stattdessen sind nun auch kurze direkte Kommunikationswege zwischen einzelnen Stellen möglich. Durch Ergänzung zusätzlicher Unterstellungspfade kann ein Einliniensystem zu einem Mehrliniensystem erweitert werden.
Beispiel:
Das vorstehende Einliniensystem wird durch Ergänzung einer zusätzlichen Unterstellung zu einem Mehrliniensystem.
Kinfaches Mehrliniensystem
Die Stelle S6 untersteht nun gleichzeitig den Instanzen S2 und S3.
Es liegt auf der Hand, dass ein Mehrliniensystem grundsätzlich kommunikationsfördernd auf eine Unternehmenskultur wirkt, ebenso klar ist aber auch, dass die resultierenden Mehrfachzuordnungen in der Führungsstruktur Probleme bei der Durchsetzung von Entscheidungen nach sich ziehen (Kompetenzstreitigkeiten).
Ein Einliniensystem kann alternativ durch Hinzunahme von Stabsstellen zu einem Stabliniensystem erweitert werden. In Stabliniensystemen sind einzelne Stellen aus der streng hierarchischen Struktur herausgelöst und arbeiten als autarke Stäbe direkt einer Linienstelle zu.
Beispiel:
In folgendem Organigramm ist die Stabs stelle S 9 der Stelle S1 zugeordnet, S10 entsprechend der Stelle S2. In beiden Fällen erbringen die Stabsstellen den ihnen weisungsbefugten Instanzen beratende und unterstützende Dienstleistungen, ohne seihst weisungsbefugt gegenüber anderen Stellen zu sein.
Einfaches Stahliniensystem
Stabsstellen existieren neben einer hierarchischen Linienstruktur, gehören dieser aber nicht direkt an. Verbreitet sind Stabsstellen vor allem im mittleren und höheren Management, hier entlasten Stabsstellen ihre übergeordneten Instanzen durch Bereitstellung von Fachwissen und tragen so zu einer rascheren und fundierteren Entscheidungsfindung bei.
Die Ablauforganisation bildet den dynamischen Teil der Organisation eines Unternehmens und setzt an einer existierenden Aufbauorganisation an. Sie bildet alle im Rahmen der Aufgabenerfüllung im Unternehmen ablaufenden Prozesse ab und beschreibt den Austausch und die Verarbeitung von materiellen und immateriellen Gütern.
Typische Ziele einer Ablauforganisation sind:
• maximale Kapazitätsauslastung (Vermeidung von Leer- und Wartezeiten),
• Kostenreduktion und Beschleunigung in der Vorgangsbearbeitung,
• Qualitätsmaximierung bei der Vorgangsbearbeitung,
• Optimierung der Arbeitsplatzanordnung.
Auch die Ablauforganisation lässt sich nach Kosiol als Folge der Zerlegung der Gesamtaufgabe des Unternehmens in Teilaufgaben und der anschließenden Aufgabensynthese verstehen. Zu diesem Zweck werden einzelne Arbeitsstufen definiert, die die kleinsten zur Erfüllung einer Aufgabe erforderlichen Arbeitseinheiten darstellen. Diese werden zu geeigneten Arbeitsreihen zusammengeführt, die die jeweilige Aufbauorganisation des Unternehmens berücksichtigen. Durch Zusammenfassung einzelner Arbeitsreihen entstehen schließlich Arbeitszyklen, auf deren Basis die Arbeitsvorgänge auf Arbeitsträger (im Allgemeinen: Stellen) verteilt werden. In diesem Rahmen sind folgende Fragen zu klären:
• Welcher Stelle wird welche Arbeitsreihe bzw. Arbeitsstufe an welchem Arbeitszyklus zugewiesen? (Zuweisungsproblem)
• Inwieweit entspricht die Leistungskapazität einer Stelle den ihr zugewiesenen Arbeitsreihen bzw. Arbeitsstufen? (Kapazitätsproblem)
• In welcher Reihenfolge und Rangfolge sollen die Arbeitsreihen bzw. Arbeitsstufen erledigt werden? (Priorisierungsproblem)
• Wie kann die Arbeitsleistung mehrerer Arbeitsträger optimal aufeinander abgestimmt werden? (Abstimmungs-, Synchronisierungs- und Transportproblem)
Die Entwicklung einer effizienten Ablauforganisation stellt damit zwar ebenfalls eine strategische Kernaufgabe der Unternehmensführung dar, bestehende Ablauforganisationen sind in der Praxis aber häufigen Veränderungen unterworfen. Beispielsweise können schon durch geringfügige Modifikationen in einer Stellenbeschreibung existierende Arbeitsabläufe im Unternehmen tiefgreifend verändert werden, ohne dass sich die Aufbauorganisation dabei ähnlich spürbar verändert.