Bis in das Jahr 2000 geisterten durch die Branchenwerbung und nahezu alle Medien Renditezahlen und Beispielrechnungen zu Kapital bildenden Versicherungen, die die Verbraucher in die Irre führten – nämlich hin zu Kapital-Lebens- und privaten Rentenversicherungen. Die Verbraucher glaubten, diese Verträge brächten Renditen von bis zu acht Prozent. Die Renditen beziehen sich oft nicht auf die Prämie, sondern nur auf deren Sparanteil oder das daraus gebildete Deckungskapital – Werte, die kein Versicherungsnehmer kennt. Hat die Gesellschaft z.B. 30 oder 40 Prozent des Beitrages für Kosten, Gewinne und für Versicherungsleistungen (Todesfälle) kalkuliert, bleiben als Sparanteil nur noch 60 oder 70 Prozent der Gesamtprämie übrig. Und dann sind sieben oder acht Prozent – bezogen auf den Beitrag – eben nur um die fünf Prozent Rendite.
Ein Artikel der Zeitschrift FINANZtest hatte Anfang 1996 die Branche aufgeschreckt. Wenn man die wenigen guten Gesellschaften mit ihrem geringen Marktanteil von etwa zehn Prozent herausrechnete, erhielt fast eine ganze Branche für ihr Hauptangebot, die Kapital-Lebensversicherung, ein Mangelhaft. Nach dem Erscheinen des FINANZtest- Artikels schwindelten die Gesellschaften noch mehr als je zuvor und versuchten vor allem, ihre Lebensversicherten bei der Stange zu halten. So hat z. B. die Allianz (die auch ein Mangelhaft erhielt) ihren Versicherten in einer Kundeninformation Renditen von sieben bis acht Prozent auf Ihr Kapital vorgegaukelt. Dabei wurde verschwiegen, dass sich diese Angabe nicht auf den Gesamtbeitrag bezog, sondern nur auf die unbekannten Sparanteile und die daraus gebildeten Deckungsrückstellungen.
Ahnungslose Allianz-Kunden, die als Bezugsgröße für solche Superrenditen ihre Gesamtbeiträge ansehen, glaubten natürlich, FINANZtest müsse sich geirrt haben. Und sie taten, was die Allianz erreichen wollte: Sie ließen ihr Gespartes bei der Allianz stehen und erklärten jeden für dumm, der beispielsweise mit Bundesschatzbriefen nur eine Rendite von sechs bis sieben Prozent erreichte. Der Bund der Versicherten (BdV) hat die Allianz damals erfolgreich angegriffen. Die Allianz verpflichtete sich vor dem Landgericht Stuttgart, derartige Zinsangaben nicht mehr zu machen, ohne darauf hinzuweisen, dass sie sich nicht auf die eingezahlten Beiträge, sondern nur auf die Deckungsrückstellungen beziehen.
Gleichzeitig verpflichtete sich die Allianz, die Formulierung Ihr Kapital nicht mehr zu verwenden (weil die Gesellschaften Gelder der Lebensversicherten eben nicht wie Kundengelder treuhänderisch verwalten, sondern mit diesen weitgehend beliebig umgehen). Zur gleichen Zeit legte ein Allianz-Versicherter dem Bund der Versicherten ein Schreiben der Allianz vor mit einer von der Versicherungsgesellschaft selbst errechneten Rendite von 4,75 Prozent. Ähnlich wie die Allianz haben fast alle Gesellschaften und mit ihnen etliche Medien die Verbraucher mit der Angabe von Renditen in die Irre geführt, indem sie die unterschiedlichsten Renditearten durcheinander werfen, nämlich
die nach einer geheimen Verbandsformel heruntermanipulierten Netto-Kapitalanlagerenditen der Unternehmen (sieben bis acht Prozent),
die Verzinsung der Deckungsrückstellungen (für die Spargelder der Versicherten, etwa 6,5 bis 7,5 Prozent),
auf die Beitragszahlungen bezogene Ablaufrenditen der Vergangenheit (fünf bis sechs Prozent) und
auf die Beitragszahlungen bezogene Ablaufrenditen, die in Beispielrechnungen für die Zukunft versprochen werden (5,8 bis sieben Prozent).
Der ahnungslose Verbraucher bezieht – mit Recht – alle Renditeangaben auf die von ihm gezahlten Prämien. Und er geht auch mit Recht davon aus, dass er – wie bei anderen Sparvorgängen – diese Renditen zu jedem Zeitpunkt der Vertragsdauer erhält, also sieben bis acht Prozent auf jede – auch auf die erste – Beitragszahlung. Er versteht nicht die Kritik an Kapital bildenden Versicherungen mit den vermeintlich sieben bis acht Prozent Renditen, … bis er seinen Vertrag kündigt und in den ersten Jahren nicht nur keine Rendite, sondern nicht einmal sein eingezahltes Geld zurückerhält, oder wenn er bei einer Kündigung nach zehn Jahren Vertragsdauer nur seine Beiträge zurückbekommt – ohne jede Rendite.
Wer seinen Vertrag durchhält, versteht auch nicht die Kritik am Versicherungssparen, … bis er die Ablaufleistung erhält und diese einmal mit seinen Einzahlungen vergleicht und möglicherweise wie W. P. nach zwölf Jahren Vertragsdauer feststellt, dass er – wie in einem dem BdV vorgelegten Fall – 488 Mark weniger bekommt als er selbst eingezahlt hatte, oder – wie ein Steuerberater – eine Albtraumrendite von 0,685 Prozent errechnet, oder wenn er von seinem Versicherer – wie z. B. von der Allianz – eine Rendite von 4,75 Prozent vorgerechnet bekommt.
Der Verbraucher, der sich für eine Kapital bildende Versicherung als Geldanlage interessiert, erkennt nicht, dass die Kapitalanlagerenditen der Unternehmen und die Verzinsung des unbekannten Deckungskapitals wie auch die Vergangenheitsrenditen und erst recht die Beispielrechnungen mit ihren auf Jahrzehnte prognostizierten Renditen überhaupt keine Aussagekraft besitzen. Eine Untersuchung der Fachhochschule Köln hat ergeben, dass von 72 überprüften Versicherern etwa zwei Drittel zu hohe Ablaufleistungen und die Hälfte zu hohe Renten versprechen. Die Medien berichten seit Jahren von gekürzten Überschussbeteiligungen (von drei bis sieben Prozent gegenüber vorher versprochenen Summen) und von Kürzungen der Überschussrenten, die bei der privaten Rentenversicherung gezahlt werden. In einem Fall wurde die Rente von 1 006 auf 642 Mark gekürzt.
Zwei Gerichte, das OLG Koblenz (10 U 1342/99) und OLG Düsseldorf (4 U 139/99) haben solche Kürzungen inzwischen für unzulässig erklärt, wenn der Versicherer bewusst zu hohe Renten versprochen hatte. Versicherungsmanager haben schon Mitte der 90er-Jahre des vorigen Jahrhunderts zugegeben: Die heutigen Überschussbeteiligungen in der Lebensversicherung sind viel zu hoch und müssten eigentlich heruntergefahren werden. Der deutsche Lebensversicherungsmarkt
wird weiterhin mit Senkungen der Gewinnanteilsätze konfrontiert. Die Wirtschaftswoche kommentierte: Der Schwindel mit den Zinsen – Für Anleger werden Policen zur Altersvorsorge immer unattraktiver. Neukunden, die einen Vertrag über 30 Jahre abschließen, müssen gegenüber den bisherigen Zahlen mit einer rund sieben Prozent geringeren Auszahlungssumme rechnen. Dazu konkrete Fälle, die dem Bund der Versicherten vorliegen:
Einem Allianz-Versicherten wurde im Jahre 1992 die Auszahlung von etwa 351 600 Mark angekündigt zu einer Lebensversicherung, die er vor über 30 Jahren zur Befreiung von der Rentenversicherungspflicht abgeschlossen hatte. Im Mai 1995 war die Auszahlungssumme nur noch 326500 Mark! Erklärung der Allianz: Wir haben 1994 die Gewinnbeteiligung zu allen Lebensversicherungen reduziert. – Ein zweiter Allianz-Kunde mit einer befreienden Lebensversicherung erhielt im Jahre 1995 die Ankündigung einer Ablaufleistung von 307600 Mark, Anfang 1998 aber nur 286728 Mark ausgezahlt. Der Versicherte hatte aber aufgrund der Zusage bereits Vermögensdispositionen getroffen und geriet in die peinliche Situation, ungedeckte Schulden von 20000 Mark zu haben.
Der Allianz fiel dazu nichts anderes ein, als solchen Kunden zu schreiben: Ihre Irritation können wir gut verstehen … – Ein Victoria-Versicherter stellte fest, dass die voraussichtliche Ablaufleistung von 211915,31 Mark exakt 22014,69 Mark unter der prognostizierten Summe liegt. Irritiert schrieb er an die Victoria: Dabei kann es sich doch nur um einen Irrtum handeln. – Irrtum, das ist kein Irrtum, sondern ein Ergebnis der Intransparenz und Ungeregeltheit der Vertrags- und Vermögensverhältnisse bei Kapital bildenden Versicherungen. Derartige Fälle, die es massenhaft gibt, dazu die öffentliche Kritik und dann auch noch die Gefahr, dass die Versicherer verurteilt werden könnten, ihre (falschen) Versprechungen zu erfüllen, mit der Folge, dass sie in finanzielle Schwierigkeiten geraten könnten, all das hat das Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen (BAV) dazu veranlasst, im Dezember des Jahres 2000 ein Rundschreiben herauszugeben, das den Lebensversicherungsunternehmen vorschreibt, wie künftig zur Überschussbeteiligung geworben werden darf:
Renditeangaben hält das BAV zu Beschreibung von Lebensversicherungsverträgen grundsätzlich für ungeeignet, heißt es im BAV-Geschäftsbericht 2000. Wenn überhaupt, dürfen Renditeangaben sich nur auf die gesamten Beiträge beziehen, müssen also klar machen, dass es sich um Ablaufrenditen handelt, die nur beim Durchhalten des Vertrages erreicht werden, nicht aber auf die jährlichen Einzahlungen. Angaben zur Höhe der Überschussbeteiligung sind nur für wenige Jahre zulässig und müssen schriftlich begründet werden, so z.B., ob für die Renditeversprechungen neben der objektiven Leistungsfähigkeit auch die subjektive Leistungsbereitschaft – beispielsweise zur Beteiligung der Versicherten an den stillen Reserven – besteht. Angaben und Beispielrechnungen, die weit in die Zukunft reichen, müssen unmissverständlich auf den hypothetischen Charakter der Darstellung hinweisen.
In dem Rundschreiben hat das BAV im Grunde die Vergangenheits- Werbung der Lebensversicherer und auch viele Medienberichte als irreführend verurteilt. Es wäre zu begrüßen, wenn sich auch die Medien an die Anweisungen des BAV halten und die Verbraucher nicht länger mit den unterschiedlichsten Renditeangaben verwirren würden. Über 50 Prozent der Kapitalversicherungen werden vorzeitig – meistens schon in den ersten Vertragsjahren-wieder gekündigt, ohne Rendite, oft unter Verlust des gesamten eingezahlten Geldes. Im Jahre 2000 mussten die Lebensversicherer auch den Garantiezins für die Sparanteile der Prämien von vier auf 3,25 Prozent zurücknehmen, was – bezogen auf die Prämie – bedeutet, dass diese garantiert nur mit etwas mehr als zwei Prozent verzinst wird.