Dieses Artikel ist eigentlich nur interessant für hoch verdienende Arbeitnehmer und Selbstständige sowie für alle, die sich selbstständig machen wollen. Sie könnten sich nämlich privat krankenversichern oder sie sind schon von der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) in eine private Kranken-Vollversicherung (PKV) übergewechselt. Dieses Artikel ist aber auch ein Lehrstück für alle Bürger, wie eine ganze Branche und ihre Lobby die Gesetzgebung manipuliert – mit sozialpolitisch schlimmen Folgen vor allem für alte Menschen, von denen einige die Beiträge für ihre private Vollversicherung kaum noch oder gar nicht mehr bezahlen können. Um diese Problematik tobte seit 1993 ein Kampf: Alle gegen eine – alle gegen die PKV und ihre Lobby! – Politiker, das Bundesaufsichtsamt, Wissenschaftler, Medien und Verbraucherorganisationen kritisierten allesamt die PKV – allen voran und schon seit Mitte der 80er- Jahre des vorigen Jahrhunderts der Bund der Versicherten (BdV), der die PKV sogar als Mogelbranche bezeichnet hat.
Klagen von vier privaten Krankenversicherungsunternehmen (Berlin-Kölnische, Central, Colonia, DKV) und des PKV-Verbandes gegen den BdV, diese Äußerung zu unterlassen, wurden von den Gerichten abgewiesen. Die Gesellschaften legten keine Berufung ein. Der Verband tat dieses zunächst noch – offenbar aus optischen Gründen -, nahm die Berufung aber Ende 1996 zurück. Dagegen ist der Bund der Versicherten mit seinen gerichtlichen Schritten gegen den PKV-Verband bisher immer erfolgreich gewesen. Er hat im Jahre 1996 zwei Werbekampagnen und Info-Broschüren der PKV gerichtlich verbieten lassen, weil sie falsche und irreführende Aussagen enthielten. Dagegen konnte die PKV-Branche dem BdV die Verbreitung seiner Aufklärungsbroschüre niemals untersagen, von der ein Gericht meinte, sie enthalte keine irreführenden oder unrichtigen Informationen, sie sei informativ und erfrischend.
Die Branche und ihre Vertreter behaupten oft das Gegenteil. Der Bund der Versicherten hat mit all seinen Aktivitäten gegen die PKV-Gesellschaften in den letzten Jahren erhebliche Wirkung erzielt. Vieles ist verbessert worden. Die Anfangsbeiträge mussten pauschal um zehn Prozent erhöht und die Kapitalanlagen und deren Überschüsse in größerem Umfang für Alterungsrückstellungen verwendet werden. Das hilft den jungen Versicherten, aber nicht mehr den alten, die in den Zwängen der privaten Krankenversicherungen gefesselt sind und – ohne jemals gewarnt worden zu sein – ständige Beitragserhöhungen ohne Rücksicht auf ihr sinkendes Alterseinkommen hinnehmen müssen.
Wer allerdings nach 1994 eine private Krankenversicherung abgeschlossen hat und vor Abschluss des Vertrages in einer Verbraucherinformation nicht auf die zu erwartenden Beitragserhöhungen im Alter hingewiesen worden ist, der kann nach Meinung des ehemaligen Richters am Bundesgerichtshof, Wolfgang Römer, künftigen Beitragserhöhungen widersprechen. Keine Hilfe bei Beitragserhöhungen ist das oft zitierte Urteil des Oberlandesgerichts Hamm, dass Beitragserhöhungen nicht zulässig seien, wenn sie dem Versicherten nicht nachvollziehbar erklärt würden. Wer sich auf dieses Urteil beruft, erhält etwa zehn Seiten mit Formeln. Und mit dieser Erklärung sind Beitragserhöhungen dann wieder zulässig. Ähnliches gilt für eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, dass PKV-Versicherte eine Begründung für Beitragserhöhungen verlangen können.
Ursache für die Missstände in der deutschen privaten Krankenversicherung ist die in Europa (mit Ausnahme von Holland) einzigartige Konkurrenzsituation zwischen den gesetzlichen Krankenkassen und der PKV. Jeder Arbeitnehmer, dessen Arbeitsentgelt unterhalb der Versicherungspflichtgrenze liegt (2002: 40500 Euro im Jahr), ist krankenversicherungspflichtig, muss also von seinem Arbeitgeber zu einer vom Arbeitnehmer ausgewählten Krankenkasse angemeldet werden. Wer aber mit seinem Verdienst über die Pflichtgrenze kommt oder wer sich selbstständig macht, der kann – und das ist das Besondere in Deutschland – die Kasse verlassen und sich entweder gar nicht oder privat versichern. Er kann sich aber auch freiwillig in der Kasse weiterversichern.
Die freiwilligen Kassenmitglieder und Nicht-Versicherungspflichtigen, die zur PKV wechseln könnten, werden natürlich heftig von den privaten Krankenversicherungsunternehmen umworben – und das mit unfairen bis unlauteren Mitteln. Da werden vor allem jüngere Arbeitnehmer, die noch ledig sind oder deren Ehefrau mitarbeitet und selbst krankenversichert ist, zu einem Vergleich des PKV-Beitrages mit dem GKV-Höchstbeitrag aufgefordert, den sie als Kassenmitglied zahlen. Die PKV kostet vielleicht nur die Hälfte – und dann die besseren Leistungen, Privatpatienten-Status beim Arzt und im Krankenhaus! Das klingt natürlich verlockend. Dazu werden die neuen Leistungskürzungen der Krankenkassen aufgebauscht, dass – z. B. bei Medikamenten – entsprechende Zuzahlungen von Krankenkassenmitgliedern zu leisten sind, die aber im Grunde kein Problem darstellen.
Das medizinisch Notwendige steht uneingeschränkt zur Verfügung, so der ehemalige Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer. Die Leistungskürzungen sollen außerdem das Gesundheitsbewusstsein der Bevölkerung fördern. Und für Härtefälle gibt es Ausnahmeregelungen. In Zukunft ist sicher mit weiteren Leistungskürzungen zu rechnen. Der Bund der Versicherten (BdV) fordert seit langem, dass z. B. – wie in der Schweiz – alles, was mit den Zähnen zusammenhängt (außer Unfälle und Krankhaftes), von der Leistungspflicht ausgeschlossen werden sollte, was zu erheblichen Absenkungen der Beitragssätze führen würde. Soll doch jeder sich selbst um seine ersten, zweiten und dritten Zähne kümmern, was vor allem von der Zahnpflege abhängt. Im Grunde kommen dann im Verlaufe eines Lebens auf jeden in etwa die gleichen Aufwendungen zu. Warum diese – kostenträchtig – über Krankenkassen umverteilen?
Warum den Arbeitgeber mit 50 Prozent beteiligen, wenn sich die Kinder die Zähne nicht richtig geputzt haben? Jeder Einzelne würde erheblich weniger Krankenkassenbeitrag zahlen und könnte für Zahnbehandlung und Zahnersatz eine private Zusatzversicherung abschließen. GKV-Beitragserhöhungen, die von der PKV-Branche und ihren Vertretern immer wieder ins Feld geführt werden, verursachen insofern wenig Probleme, weil Beitrags- und Beitragssatzerhöhungen bei den Krankenkassen einkommensbezogen erfolgen und so für jeden bezahlbar bleiben. Härter betroffen sind allerdings Gutverdienende, wenn sich Beitragsbemessungsgrenze und Beitragssatz erhöhen. Für sie ergibt sich dann eine doppelte Beitragserhöhung.
Was der GKV ebenso fehlt wie der PKV, ist die Transparenz der allgemeinen Verwaltungskosten. Es ist nach außen nicht zu erkennen, wie wirtschaftlich Kassen oder Unternehmen arbeiten. Hierfür müssten die Kassen einen gesonderten Anteil des Beitragssatzes beziffern und die Versicherungsunternehmen – neben dem Versicherungsbeitrag – einen Preis für ihre Dienstleistungen ausweisen.
Die wesentlichen Nachteile der privaten Krankenversicherung sind:
Bei einer Familiengründung müssen eine nicht berufstätige Ehefrau und die Kinder auch privat versichert und für jedes Familienmitglied gesonderte Beiträge gezahlt werden. (Über die Krankenkasse sind Frau und Kinder beitragsfrei mitversichert.)
Die Beiträge werden nicht – wie in der GKV – nach dem Einkommen berechnet, sondern nach Alter und Geschlecht. Für die durch Inflation und technischen Fortschritt höheren Aufwendungen im Alter werden keine Rückstellungen gebildet! Begründung des PKV-Verbandes: Niemand kann Vorhersagen, wie sich die durchschnittliche Höhe der Krankheitskosten, Geldwert und die Lebenserwartung entwickeln. – Der Präsident des Bundesaufsichtsamtes, Dr. Knut Hohlfeld, hält dagegen: Es bestehen insoweit gewisse Erfahrungen. Diese werden aber nicht berücksichtigt. So kann es passieren, dass ein Privatversicherter mit einem Anfangsbeitrag von 20 Mark als Neunzigjähriger 1000 Euro Monatsbeitrag aufbringen muss, obwohl er kein Einkommen hat. Auf jeden Fall zahlen Privatversicherte für eine Vollversicherung im Alter grundsätzlich mehr als GKV-Versicherte, und sehr viel mehr, wenn sie besonders alt werden. Sie können in Billigtarife oder den Standardtarif absteigen, erhalten dann aber nur noch die Leistungen der Krankenkassen.
Das heißt: Komfortschutz zu niedrigen Prämien in jungen Jahren, wenn man ihn nicht benötigt, und trotz abgespeckten Versicherungs-schutzes hohe Prämien im Alter, wenn man den Komfortschutz brauchen würde.
Die Tatsache, dass die Beiträge nicht – wie in der GKV – nach dem Einkommen berechnet werden, hat auch noch zur Folge, dass PKV- Versicherte bei einer Berufsunfähigkeit oder längeren Arbeitslosigkeit (z. B. im höheren Alter) in große Schwierigkeiten kommen, weil die PKV nicht – wie die GKV – auf das sinkende Einkommen reagiert. Im Gegenteil: Die Beiträge steigen weiter. Demzufolge braucht jeder PKV-Versicherte unbedingt eine Berufsunfähigkeitsversicherung, die neben der normalen Rente die Zahlung der PKV-Beiträge absichert. Die BU-Rente müsste dafür um mehrere hundert Euro pro Monat erhöht werden. Der anteilige Beitrag zur BU-Versicherung muss dann eigentlich dem PKV-Beitrag hinzugerechnet werden, wenn man diesen mit dem GKV-Beitrag vergleichen will.
Auch eine Scheidung bringt Schwierigkeiten für PKV-Versicherte. So schreibt uns B. K. aus H.: Durch die Ehescheidung hat sich meine Altersrente vermindert. Die letzte Prämienanpassung beansprucht 40 Prozent meiner Rente. – Wäre K. in der gesetzlichen Krankenkasse geblieben, würde er jetzt einen seiner Altersrente angepassten niedrigen Kassenbeitrag bezahlen, etwa ein Drittel vom PKV-Beitrag.
Bei der GKV gibt es weniger Streit um die Versicherungsleistungen. Alles, was ein Kassenarzt verordnet, muss von der Kasse bezahlt werden. Die PKV-Unternehmen kürzen oder verweigern dagegen – gerade bei älteren Versicherten – die Ansprüche mit der Begründung, die Behandlung sei überhaupt nicht oder nicht in dem Umfang medizinisch notwendig gewesen. Dann muss der Versicherte vor Gericht ziehen. In der Mitgliederzeitung des Bundes der Versicherten war im Jahre 2001 eine Karikatur abgedruckt, die – in etwas überzogener Form – auf die Problematik hinwies: Ein Arzt betritt das Zimmer eines Kranken und meint: Sie haben Glück: Ihre Versicherung hat herausgefunden, dass die Operation unnötig ist! – Also sollten PKV-Versicherte neben der Absicherung der Beitragszahlung über eine Berufsunfähigkeitsversicherung auch eine Rechtsschutzversicherung zur Absicherung des Prozesskostenrisikos bei Streitigkeiten um große Kostenerstattungen (z. B. einer Operation) abschließen.
PKV-Versicherte binden sich an das von ihnen ausgesuchte PKV- Unternehmen, weil ein späterer Wechsel zu einem besseren Unternehmen theoretisch zwar möglich, aber wirtschaftlich nicht sinnvoll ist, da der Versicherte die aus seinen Beiträgen gebildeten Alterungsrückstellungen nicht mitnehmen kann. Er müsste sich bei einer neuen Gesellschaft mit einem höheren Eintrittsalter versichern und hätte eine kürzere Zeit zum Aufbau neuer Alterungsrückstellungen, müsste also mehr Beitrag bezahlen. Möglicher-weise wäre ein Wechsel wegen zwischenzeitlicher Erkrankungen gar nicht mehr möglich oder es müssten Risikozuschläge gezahlt werden. Der BGH hat entschieden (IV ZR 192/98): Bei Kündigung einer privaten Krankenversicherung (PKV) gibt es die für die Alterungsrückstellung eingezahlten Beitragsanteile nicht zurück. Das Problem lässt sich nur politisch lösen. Alterungsrückstellungen müssten – bundesweit – für alle PKV-Versicherten gebildet werden. Das setzt die Abtrennung der Sparanteile der Prämien und die Bildung eines Pools voraus, dem die Unternehmen die Beträge entnehmen könnten, die sie zur Beitragsreduzierung ihrer älter gewordenen Versicherten benötigen. Unter dem Dach dieses Pools könnten die PKV-Versicherten dann von einer Gesellschaft zur anderen wechseln.
Wer einmal zur privaten Krankenversicherung übergewechselt ist, kommt grundsätzlich nicht wieder zurück (es sei denn, die Versicherungspflicht entsteht – vor dem Alter von 55 Jahren – neu durch ein Arbeitsentgelt unterhalb der Pflichtversicherungsgrenze).
Entscheidungen zur Krankenversicherung (gesetzlich oder privat) sind in der Regel Entscheidungen fürs ganze Leben. Umfassende und neutrale Information (auf keinen Fall durch Vermittler!) ist hier besonders wichtig. Es gibt keinen Zeitdruck: Wer in einer Kasse Mitglied ist, sollte erst einmal freiwilliges Mitglied bleiben. Wer einer Kasse beitreten kann (z. B. als Student), sollte den Augenblick nutzen und einer Krankenkasse beitreten. Austreten und sich privat versichern können alle nicht-versicherungspflichtigen Krankenkassenmitglieder später immer noch.
Also: Erst einmal rein in die Gesetzliche oder drinbleiben in der Gesetzlichen und in aller Ruhe informieren und überlegen, wie man sich entscheiden will – aber ohne Zureden eines Versicherungsvertreters.
Ganz wichtig ist in diesen Situationen, nichts zu überstürzen und sich eingehend zu informieren, weil falsche Entscheidungen kaum zu korrigieren sind. Wer einer Krankenkasse im richtigen Moment nicht beigetreten oder aus ihr im falschen Augenblick ausgetreten ist, der kann eine Entscheidung mit erheblichen finanziellen Verlusten getroffen haben. Die gesetzliche Krankenversicherung schafft einen sozialen Ausgleich mit ihrem Umlageverfahren, ihrer Beitragsfestsetzung nach dem Einkommen und durch die beitragsfreie Mitversicherung von Frau/Mann und Kindern. Sie muss jeden Arbeitnehmer versichern, also auch kranke Menschen. Die private Krankenversicherung akzeptiert dagegen in der Regel Versicherte mit Vorerkrankungen nur gegen Risiko-zuschläge oder überhaupt nicht, sie versichert also keine Kranken. Wegen dieser völlig unterschiedlichen Struktur stehen diese Systeme auch niemals in einem echten Wettbewerbsverhältnis.