Risikomerkmale
Die Risikoprüfung ist ein wesentlicher Bestandteil der Antragsbearbeitung. Durch sie wird festgestellt, ob und zu welchen Bedingungen eine zu versichernde Person in den Kreis der Versichertengemeinschaft aufgenommen werden kann. In der Pflegeversicherung mit Kontrahierungszwang ist bei erschwerten Risiken zu prüfen, welcher Risikozuschlag erforderlich ist.
Die Risikomerkmale werden durch Auswertung der Angaben des Antragstellers insbesondere zu den Gesundheitsfragen erfasst. Im Bedarfsfall fordert der VR noch Berichte der behandelnden Ärzte an. Hierzu ist er berechtigt, da der VN bei Antragstellung sein Einverständnis gegeben hat (Erklärung über die Entbindung von der Schweigepflicht).
Man unterscheidet objektive und subjektive Risikomerkmale.
– Objektive Risikomerkmale
Das objektive Risiko wird von äußeren und inneren Faktoren bestimmt.
Merkmale des objektiven Risikos | |
Äußere Faktoren | Innere Faktoren |
– Geschlecht | – Habitus (Erscheinungsbild) |
– Alter | – Konstitution (Beschaffenheit, Zustand) |
– Beruf | – Disposition (Veranlagung,Krankheitsbereitschaft) |
– Familienstand | |
– Wohnort | – Heredität (Erblichkeit) |
– Klima | – Status präsens (augenblicklicher |
Zustand) | |
– Anamnese (Krankheitsvorgeschichte) |
– Subjektive Risikomerkmale
Unter dem subjektiven Risiko werden diejenigen Merkmale verstanden, die im Wesentlichen vom persönlichen Verhalten der versicherten Person bzw. eines Dritten abhängen. Subjektive Risikomerkmale ergeben sich aus den Charaktereigenschaften des Versicherten, z.B. Überempfindlichkeit, Übervorsichtigkeit, persönliche Einstellung zur Leistungsinanspruchnahme, überhöhte Ansprüche, Lebensweise, Einflussversuch auf den Arzt.
Merkmale des subjektiven Risikos | ||
Natürliches Risiko | Unnatürliches Risiko | |
= Risiko, das in der Natur des Versicherten liegt oder von Dritten ausgeht. | = Risiko, das zum Teil Betrug darstellt oder an Betrug grenzt. | |
unmittelbar (vom Versicherten ausgehend)- Überempfindlichkeit- Übervorsichtigkeit – Unvorsichtigkeit – keine Kenntnis von Hausmitteln – unzureichende häusliche Pflege – Einflussversuche auf Arzt, Krankenhaus – Vergesslichkeit bei der Beachtung von Obliegenheiten – fehlende Aufklärung des Rechnungsausstellers über die Vermögenslage | unmittelbar (vom Versicherten ausgehend)- Medikamentitis- gefälschte Belege – Vortäuschung von Krankheiten | |
Merkmale des subjektiven Risikos | ||
Natürliches Risiko | Unnatürliches Risiko | |
mittelbar (von Dritten ausgehend)- Unerfahrenheit beim Ausfüllen des Versicherungsantrages- Unerfahrenheit in Heilmethoden, Rezepturen – Übervorsichtigkeit in der Behandlung – leichte Beeinflussbarkeit des Arztes durch Patienten – unerprobte Heilbehandlung und Heilmittel – Falscheinschätzung der Finanzkraft des Patienten | mittelbar (von Dritten ausgehend)- Mithilfe beim Verschweigen von Vorerkrankungen- Vielgeschäftigkeit – falsche Berechnung – Quittierung nicht gelieferter Medikamente – Tarnung einer Kur als Krankenhausbehandlung |
Risikobewertung
Die Bewertung des objektiven Risikos erfolgt durch:
• Spezialwissen der Risikoprüfer,
• Risikotabellen (unternehmenseigene Statistiken),
• Hamburger oder Kölner Systematik der Krankheiten,
• Auskünfte beratender Gesellschaftsärzte,
• Expertensysteme.
Die Kölner Systematik bzw. die Hamburger Systematik sind Krankheitsartenverzeichnisse, in denen die einzelnen Krankheitsarten nach der Dauer ihrer durchschnittlichen Risikoerheblichkeit eingeordnet werden. Sie teilen Krankheiten in risikounerhebliche und risikoerhebliche auf.
Im Bedingungswerk 1 Proximus Versicherung befindet sich zur Feststellung von Risikoerheblichkeiten ein Diagnoseverzeichnis sowie eine spezielle Risikoliste. Das Diagnoseverzeichnis enthält verschiedene Diagnoseschlüssel mit den entsprechenden Diagnosen.
Beispiel: | |
Schlüssel | Diagnose |
1501 | Bronchialasthma |
2101 | Gicht (Hyperurikämie) |
3801 | Bluthochdruck |
4401 | Grippaler Infekt |
6801 | Gallenblasenentzündung |
9302 | Geschwulst |
Die Risikoliste enthält Diagnoseschlüssel, Diagnosen, Rezidivfristen, Texte für Erschwerungen, Risikozuschläge in Prozentsätzen, fallweise besondere Vermerke zur Beurteilung (z.B. für Zustände vor und nach Operationen) und Bearbeitungshinweise (z.B. Rückfragen beim gesellschaftsärztlichen Dienst).
Unter Rezidivfrist versteht man den Zeitraum innerhalb dessen das Wiederauftreten einer Krankheit wahrscheinlich ist. Je kürzer eine Krankheit vor Beginn der Versicherung bestanden hat, um so größer ist die Gefahr, dass es aufgrund dieser Erkrankung zu weiteren Behandlungen kommt.
Die Bewertung des objektiven Risikos erfolgt mit Hilfe einer Risikoliste. Diese Liste soll es ermöglichen, Risikoerheblichkeiten festzustellen. Sie bildet die Entscheidungs- grundlage für die Annahme oder Ablehnung des Antrags.
Die Problematik des subjektiven Risikos liegt darin, dass es durch die Fragen im Antrag nicht erfasst werden kann. Es wird daher durch risikobegrenzende Maßnahmen eingekreist
Annahme- bzw. Ablehnungsentscheidung
Nach Abschluss der Risikobeurteilung entscheidet der VR über den Antrag des Versicherungsnehmers .
Es ergeben sich folgende Alternativen:
1. Annahme des Antrags ohne Einschränkungen (Ziffer 0 in der Risikoliste)
2. Annahme des Antrags mit Einschränkungen
a) Versicherungsmedizinische Zuschläge (Buchstaben RZ in der Risikoliste)
b) Leistungsausschlüsse für einzelne Krankheiten (Buchstaben LA in der Risikoliste)
c) Krankheitsbezogener Selbstbehalt (KSB)
Dieser kann vereinbart werden, wenn der VN den versicherungsmedizinischen Zuschlag nicht akzeptiert.
3. Ablehnung des Antrags (Buchstabe A in der Risikoliste)
4. Zurückstellung des Antrags (dies kommt in juristischem Sinne einer Ablehnung gleich)
Beispiele:
Fall 1: Frau Henkel hat bei den Gesundheitsfragen eine Hautkrebserkrankung
angegeben.
Fall 2: Herr Müller hat im Antragsformular chronische Gichtbeschwerden vermerkt.
Fall 3: Frau Maier gibt eine Diabeteserkrankung an.
Fall 4: Im Antrag von Frau Oberfeld sind Rheumabeschwerden vermerkt.
Fall 5: Herr Feldmann hat einen grippalen Infekt im Antragsformular angegeben.
Fall 6: Herr Zimmermann teilt dem Versicherungsvertreter bei der Antragsaufnahme
mit, dass er vor einem Jahr an einem Zwölffingerdarmgeschwür operiert wurde und
seither beschwerdefrei ist.
Die Risikoprüfung führt in diesen Fällen mit Hilfe der Risikoliste gemäß den Annahmerichtlinien zu folgenden Entscheidungen:
Fall 1:
1001 A Krebs
Der Antrag ist abzulehnen, wenn im Diagnoseschlüssel der Buchstabe A vermerkt
ist.
Fall 2:
2101 5 Gicht
A: Gicht und Folgen
N = 100 % RZ
U = 100 % RZ
Die Ziffer 5 gibt die Rezidivfrist an. Sie besagt, dass fünf behandlungs- und beschwerdefreie Jahre seit der letzten Behandlung bzw. der dem letzten Auftreten der Beschwerden verstrichen sein müssen, bevor eine Antragsaufnahme ohne Erschwerungen erfolgen kann.
Buchstabe N = Neu- und Nachversicherung
Buchstabe U = Umwandlung
In beiden Fällen wird ein Risikozuschlag von 100 % verlangt. Wenn der vom VN angegebene Zeitraum kleiner als die in der Risikoliste angegebene Rezidivfrist ist, muss immer eine Erschwerung vereinbart werden.
Fall 3:
1801 D Zuckerkrankheit
A: Diabetes und Folgen
N = LA
U = 120 % RZ
Der Buchstabe D bringt zum Ausdruck, dass für die Dauer des Versicherungsvertrages eine Erschwerung zu fordern ist.
Bei Neu- und Nachversicherungen erfolgt ein Leistungsausschluss, bei einer Umwandlung ein Risikozuschlag von 120 %.
Fall 4:
7901 (5) Rheumatismus
A: Rheuma und Folgen
N = 180 % RZ
U = 180 % RZ
Eine in Klammer stehende Ziffer besagt, dass unabhängig von der behandlungs- und beschwerdefrei verlaufenden Zeit ein Risikozuschlag erforderlich ist. Die Dauer des Risikozuschlags in Höhe von 180 % beträgt in diesem Fall fünf aufeinander folgende behandlungs- und beschwerdefreie Versicherungsjahre.
Fall 5:
4401 0 Grippaler Infekt
Bei Angabe einer Rezidivfrist von 0 sind keine Erschwerungen erforderlich.
Fall 6:
5201 5/3 Zwölffingerdarmgeschwür
A: Geschwürkrankheiten des Darmes und Folgen Nicht operiert:
N = 60 % RZ U = 60 % RZ Operiert:
N = 30 % RZ U = 30 % RZ
Die Angabe 5/3 gibt jeweils die Rezidivfrist vor und nach der Operation an. Da Herr Zimmermann am Zwöffingerdarmgeschwür operiert wurde beträgt die Rezidivfrist 3 Jahre. Da er ein Jahr beschwerdefrei ist, wird die Rezidivfrist um ein Jahr vermindert. Sie beträgt demnach nur noch 2 Jahre. Herr Zimmermann erhält somit für zwei Jahre einen Risikozuschlag von 30 %.
Bisher war es stets umstritten, ob ein vereinbarter Risikozuschlag auf Dauer festgeschrieben ist, obwohl sich der gefahrerhebliche Umstand gebessert hat oder beseitigt ist (die Krankheit z.B. ausgeheilt ist). Das Landgericht Coburg hat neuerdings der Klage eines Versicherten auf Herabsetzung seines Versicherungsbeitrags stattgegeben. Nach dem Gerichtsurteil kann der Versichherte die Herabsetzung des Beitrags verlangen, wenn die den Beitragszuschlag begründende Erkrankung ihre Risiko erhöhende Bedeutung verliert. Dem VN muss in diesem Fall allerdings der Beweis gelingen, dass er kein erhöhtes Erkrankungsrisiko mehr aufweist. Die Coburger Richter befanden, dass es Sache des Versicherungsnehmers sei, der Krankenversicherung gegenüber eine Ausheilung darzutun und zu belegen. In vorliegendem Fall litt der Versicherte bei Abschluss des Versicherungsvertrages unter degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule. Aufgrund dieser Erkrankung erhob der VR einen dauerhaften Risikozuschlag. Einige Jahre später konnte der Versicherte aufgrund eines medizinischen Sachverständigengutachtens nachweisen, dass lediglich noch altersentsprechende Veränderungen der Wirbelsäule Vorlagen. Die Coburger Richter befanden daher, dass ab diesem Zeitpunkt mangels Risikoerhöhung auch der Risikozuschlag entfallen müsse.