Strukturvertriebe
Strukturvertriebe sind reine Vertriebsgesellschaften, die entweder rechtlich und wirtschaftlich selbstständig oder als Tochterunternehmen eines Versicherungskonzerns/-unternehmens organisiert sind. Die konkreten Erscheinungsformen dieser Absatzorgane sind recht vielfältig, gemeinsam ist allen Ausprägungen lediglich ein tiefer hierarchischer Aufbau mit bis zu sechs
Hierarchieebenen, die allesamt über ein Provisionssystem gesteuert werden. Hauptakteur in dieser Führungsstruktur ist der Akquisiteur auf der untersten Ebene, dem die eigentlichen Vertriebsaufgaben zufallen, alle übergeordneten Ebenen beschränken sich auf Führungstätigkeiten, sind aber am Vertriebserfolg ihrer Akquisiteure direkt beteiligt.
In der Regel weisen Strukturvertriebe ein hohes Absatzpotenzial bei Neukunden auf (eine Folge der meist rein auf Absatz ausgerichteten Vergütungsmodelle), andererseits führt die Betonung des reinen Absatzes häufig zu hohen Stornoquoten bei Neukunden. Dies führt gerade in den Anfangsjahren einer Vertragslaufzeit nicht selten zu geringen Erträgen des Versicherers, auch nach dem Ende einer Provisionshaftungszeit. Strukturvertriebe eignen sich daher nur in Ausnahmefällen zum Aufbau langfristiger Kundenbeziehungen, vor allem leidet eine individuelle Kundenansprache stellenweise unter häufigen Personalwechseln.
Captives
Captives (auch Captive Broker) sind ein klassisches Beschaffungsorgan des Versicherungsnehmers und finden sich ausschließlich im gewerblichen Bereich. Häufig sind Captives Tochterunternehmen oder Fachabteilungen großer Industriekonzerne, die für ihre Muttergesellschaft und deren Tochterunternehmen Versicherungsschutz auf dem Markt beschaffen. Sie agieren damit im Kern wie ein Makler, der fest an einen Versicherungsnehmer gebunden ist und nur für diesen tätig wird.
Beispiel:
Ein großes Unternehmen der chemischen Industrie mit mehreren 10.000 Mitarbeitern in verschiedenen Ländern benötigt im Normalfall umfangreichen Versicherungsschutz für seine Produktionsanlagen (Feuer, Hagel, Sturm, Terrorismus etc.), hinzu kommt Unfallversicherungsbedarf für die Mitarbeiter in Ergänzung des gesetzlichen Schutzes oder etwa die Organisation einer betrieblichen Altersversorgung. In diesem Fall lohnt sich die Einrichtung einer speziellen Versicherungsabteilung oder die Gründung einer Versicherungsvermittlungstochter in der Rechtsform einer GmbH, vor allem vor dem Hintergrund einer internationalen Geschäftstätigkeit.
In Einzelfällen organisieren Captives auch Versicherungsschutz für nicht zum eigenen Unternehmen bzw. Konzern gehörende Versicherungsnehmer. In diesem Fall werden sie zu echten Vermittlern und beziehen von den Versicherern Vergütungen in Form von Provisionen. Ansonsten sind die Mitarbeiter eines Captives Festangestellte mit entsprechendem Fixgehalt.
Sonstige Vertriebswege
Neben den bereits beschriebenen Vertriebswegen gibt es noch eine Vielzahl weiterer Vertriebswege, die von nur geringer wirtschaftlicher Bedeutung sind. Diese Vertriebswege bzw. ihre Absatzorgane zeichnen sich meist durch einen hohen Spezialisierungsgrad aus, der sich auf die vertriebenen Produkte und/oder die damit angesprochenen Zielgruppen bezieht, und sind in der breiten Öffentlichkeit meist relativ unbekannt.
Sonstige Vertriebswege im Überblick
Sonstige unternehmenseigene | Sonstige unternehmensfremde |
Absatzorgane | Absatzorgane |
– Automatenvertrieb | – Vertrieb über Kammern, |
– Fest angestellte Vertriebsmitarbeiter | Verbände und Versorgungswerke |
– Sonderorganisationen | – Stille Vermittler |
Nennenswerte unternehmensverbundene Absatzorgane neben den Ausschließlichkeitsvertretern gibt es nicht. Der Automaten vertrieb spielt lediglich in Bereichen eine Rolle, in denen ein hochgradig standardisierter Versicherungsvertrag ohne weitere Risikoprüfung und bei weitgehend einheitlicher Beitragshöhe zustande kommen kann. Typische Beispiele wären Reisegepäckversicherungen bei Flügen, bei denen das Risiko auch ohne explizite Risikoprüfung a priori bekannt ist.
Fest angestellte Vertriebsmitarbeiter (häufig als Inspektoren bekannt) können sich sowohl in der Zentrale als auch in Filialbetrieben befinden. Ihre Vergütung setzt sich zumeist aus relativ hohen Garantieleistungen und eher geringen erfolgsabhängigen Bestandteilen (Provisionen) zusammen, der Vertriebsanreiz ist daher oftmals geringer ausgeprägt als bei Ausschließlichkeitsvertretern. Häufig werden fest angestellte Vertriebsmitarbeiter als Führungskräfte im Außendienst eingesetzt, zum Beispiel mit Verantwortlichkeit für ein regionales Netz aus Generalagenturen (Orgaleiter). Im weiteren Sinne können Vertriebstätigkeiten auch durch nicht primär mit Vertrieb betraute Mitarbeiter wahrgenommen werden, beispielsweise werden im gewerblichen Bereich umfangreiche Einzelverträge gelegentlich auch durch Vorstandsmitglieder abgeschlossen.
Zur Betreuung spezieller Kundengruppen oder zum Vertrieb besonderer Produkte werden in der Versicherungswirtschaft vereinzelt so genannte Sonderorganisationen (kurz auch „Sonderorgas“, teilweise auch als Spezialorganisationen bekannt) gebildet, die sich aus fest angestellten Mitarbeitern oder Vertretern zusammensetzen können. Sie existieren parallel zu anderen Vertriebswegen, stehen zu diesen aber aufgrund ihrer künden- oder produktspezifischen Ausrichtung im Allgemeinen nicht in Konkurrenz.
Beispiel:
Manche Versicherer unterhalten Sonderorganisationen für bestimmte Berufsgruppen wie Mediziner (Ärzteorga) oder Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes. Wird etwa eine Sonderorganisation für Ärzte unterhalten, bietet diese eine speziell auf die Bedürfnisse und Finanzierungsprobleme ihrer Zielgruppe zugeschnittene Beratung, also zum Beispiel auch Hilfe bei der Praxisgründung und -finanzierung.
Grundsätzlich ergibt die Bildung von Sonderorganisationen nur in begrenztem Umfang Sinn, wenn etwa die angesprochene Personengruppe relativ klein oder das zu vertreibende Produkt von vorneherein nur ein sehr begrenztes Marktpotenzial mit hohen Ertragschancen besitzt. In gewisser Weise sind die im gewerblichen Bereich stellenweise anzutreffenden Key Account Manager eine logische Weiterentwicklung der Sonderorganisationen. Hier betreut ein Mitarbeiter einen besonderen Kunden (Key Account) in allen Vertragsbelangen und über alle Sparten hinweg. Eine weitere Spezialform der Sonderorganisationen stellen die in diesem Versicherung-Artikel beschriebenen Strukturvertriebe dar.
Verfügt ein Versicherungsunternehmen über eine berufsständisch eingegrenzte Zielgruppe (Ärzte, Handwerker, Juristen), bietet sich unter Umständen der Abschluss von Rahmenverträgen mit Kammern, Verbänden oder Versorgungswerken dieser Berufsgruppe an (Kollektivrahmenverträge). Der Vertrieb läuft nun über die jeweilige berufständische Organisation, der Versicherer tritt nur am Rande auf und bietet den Versicherungsnehmern zumeist ein günstigeres Preis-/Leistungsverhältnis (das gegenüber dem Treuhänder natürlich zunächst aktuariell begründet werden muss.
Beispiel:
Ein Lehensversicherer schließt mit einer Anwaltskammer einen Rahmenvertrag über die Gewährung von Versicherungsschutz für die Mitglieder ah. Da die Versicherungsnehmer einer homogenen (Berufs-)Gruppe mit entsprechend bekanntem homogenen Risikoprofil angehören, verringern sich die Aufwendungen die Antrags- und Risikoprüfung. Da speziell das Todesfallrisiko bei dieser (akademischen) Personengruppe als eher unterdurchschnittlich angesehen werden kann, können auch beim Risikobeitrag Abschläge hingenommen werden. Die Anwaltskammer bewirbt im Gegenzug die vergünstigten Produkte ihres Kooperationspartners in Mitgliederszeitschriften und übernimmt Teile der Beratung.
Kammern, Verbände und Versorgungswerke stellen sich freilich im Allgemeinen nur dann Versicherungsunternehmen als Vertriebspartner zur Verfügung, wenn die Vorteile der Kooperation für die Mitglieder klar ersichtlich sind. Stille Versicherungsvermittler sind in der Regel rein nebenberuflich tätig und stellen Kontakte zwischen Versicherungsunternehmen und potenziellen Versicherungsnehmern her. Ihre Dienstleistung beschränkt sich dabei meist auf die reine Anbahnung sowie einige grundsätzliche Beratungsdienstleistungen, im weiteren Verlauf kommen dann andere (hauptberufliche) Absatzorgane zum Einsatz. Die Vergütung erfolgt dem Charakter der Dienstleistung entsprechend über Einmalprovisionen.