Leistungen zur Pflegeversicherung
Wer ist pflegebedürftig?
Der gesetzlich verpflichtende Rahmen für alle Beteiligten der Pflegeversicherung ist geregelt im 11. Sozialgesetzbuch (SGB XI). Dort ist exakt ausgeführt, wen der Gesetzgeber mit der Definition „pflegebedürftig“ meint: Menschen, die wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung, in Bezug auf die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen des täglichen Lebens, für mindestens sechs Monate in erheblichem oder höherem Maße der Hilfe bedürfen.
Dies trifft somit nicht nur auf alte Menschen zu, sondern auch auf Personen (auch Kinder), die über einen eingegrenzten Zeitraum krank oder auf Dauer behindert sind. Die größte Einschränkung für die Anerkennung irgendwelcher Ansprüche: Das zeitliche tägliche Minimum der Pflege liegt bei mindestens *N) Minuten, davon müssen mindestens 45 Minuten so genannter Grundpflege enthalten sein. Krankheiten oder Behinderungen sind:
1. Verluste, Lähmungen oder andere Funktionsstörungen am Stütz- und Bewegungsapparat oder
2. Funktionsstörungen der inneren Organe oder der Sinnesorgane oder
3. Störungen des Zentralnervensystems wie Antriebs-, Gedächtnis- oder Orientierungsstörungen sowie endogene Psychosen, Neurosen oder geistige Behinderungen.
Begriff und Stufen der Pflegebedürftigkeit
Die Pflegebedürftigkeit wird im Gesetz definiert, und zwar nicht gemäß den Maßstäben, die ein Betroffener anlegen würde. Dazu haben verschiedene Überlegungen geführt. Zum einen wollte der Gesetzgeber Maßstäbe und Voraussetzungen schaffen, die allgemein gültig sind und vor allem standardisiert in dem Sinne, dass sie Überprüfungen durch Gerichte standhalten. Nicht gering fällt der Einfluss der finanziellen Situation des öffentlichen Sozialsystems auf die Eingangsvoraussetzungen aus. Nur so ist zu erklären, dass man nicht einfach nur pflegebedürftig sein muss, um in den Genuss der Segnungen der Pflegeversicherung zu gelangen. Man muss erheblich pflegebedürftig sein, und das auch noch nach objektiven Gesichtspunkten.
Offiziell existieren drei Pflegestufen, de facto sind jedoch noch zwei weitere Pflegestufen hinzugefügt worden: die Pflegestufe 0 und die Pflegestufe vier. In der Pflegestufe 0 finden sich alle Personen wieder, die zwar pflegebedürftig sind, deren Hilfebedarf aber noch nicht hoch genug für eine der offiziellen Pflegestufen ist. Pflegestufe vier ist äußerst schweren Pflegefällen Vorbehalten.
Grundsätzlich gilt die Kombination folgender Bedingungen:
1. Pflegebedürftig ist nur derjenige Versicherte, der sowohl in der pflegerischen (also direkt am Körper, zum Beispiel beim Waschen) als auch zusätzlich in der hauswirtschaftlichen Versorgung (also im Sinne der Versorgung, zum Beispiel Kochen oder Einkäufen) auf die Hilfe anderer Menschen angewiesen ist.
2. Pflegebedürftig im Sinne des Gesetzes ist nur derjenige, der regelmäßig und dauerhaft auf fremde Hilfe angewiesen ist. Wichtig ist die konkrete Bedeutung dieser beiden harmlos klingenden Vokabeln:
Regelmäßiger Hilfebedarf
Die vom Gesetz geforderte Regelmäßigkeit ist erfüllt, wenn eine Hilfeleistung regelmäßig, also routinemäßig und ständig mindestens einmal pro Woche erbracht wird. Bestes Beispiel ist das Baden. Wird ein Versicherter einmal pro Woche gebadet, dann handelt es sich um regelmäßiges Baden. Wird er hingegen nur alle drei Wochen gebadet, dann ist das zwar für den Betroffenen immer noch regelmäßig, nicht aber in den Au-gen der Pflegeversicherung. Alle Verrichtungen, die weniger häufig als einmal pro Woche durchgeführt werden, fallen versicherungstechnisch weg. Sie werden nicht mitgezählt, unabhängig davon, wie viel Hilfebedarf an diesen Verrichtungen im Einzelfall hängen mag. Hintergrund ist die eher juristisch begründete Überlegung, dass der Hilfebedarf ja in Minuten pro Tag berechnet wird. Eine Verrichtung, die weniger häufig als einmal pro Woche erbracht wird, würde in diesem System extrem kleine Werte unterhalb einer Minute ergeben und damit schlicht unpraktisch, schwer berechenbar und damit bedeutungslos sein.
Dauerhafter Hilfebedarf
Nach dem Gesetz wird eine Hilfeleistung nur dann als notwendig (immer im Sinne des Gesetzes, nicht im praktischen Erleben) anerkannt, wenn sie auf Dauer notwendig ist. Als Grenze ist hier eine Dauer von mehr als sechs Monaten verbindlich festgelegt. Damit soll eine Unterscheidung möglich sein zwischen Krankheiten, die wieder vorübergehen, und wirklich pflegebegründenden Erkrankungen, die von bleibendem Charakter sind. Zum Beispiel wird ein Armbruch mit anschließendem Eingipsen bis in die Fingerspitzen zwar einen erheblichen Hilfebedarf erzwingen, jedoch ist die Sache nach längstens vier Monaten ausgestanden. Eine Pflegeeinstufung wird deshalb mit dem Hinweis auf eine zu kurze Dauer der Hilfebedürftigkeit verweigert. Bei einem an sich ähnlichen Fall wie der Implantation eines neuen Hüftgelenks sieht es ganz anders aus. Die Einschränkungen aus dieser Operation ziehen sich bei älteren Menschen durchaus über ein Jahr oder länger hin, weshalb hier die „magische“ Grenze überschritten und ein entsprechender Hilfebedarf anerkannt wird.
Bei sich rasch verschlechternden Erkrankungen, wie etwa Krebs, kann es dazu kommen, dass der Tod vor Ablauf der sechsmonatigen Frist eintritt. Für die sechs Monate ist einzig die Aussicht auf Heilung maßgebend. Bei Krebs im Endstadium steht zweifelsfrei fest, dass der Hilfebedarf auf Dauer besteht. Wie lange der Versicherte mit seiner Krankheit dann tatsächlich lebt, spielt keine Rolle. Ist die Pflegestufe einmal festgestellt, wird sie niemand mit dem Hinweis zurücknehmen, dass die Leistungen nur fünf Monate in Anspruch genommen wurden. Die tatsächliche Bezugsdauer ist nicht wichtig, sondern die Prognose, die Aussichten für die Zukunft. Wie die Zukunft am Ende wirklich aussieht, weiß man ohnehin erst, wenn sie eintritt.
Formale Voraussetzungen für die Pflegebedürftigkeit
Der Patient muss in der Pflegeversicherung mit Beiträgen oder beitragsfrei versichert sein. Er muss pflegebedürftig sein und eine Vorversicherungszeit erfüllen. Er muss einen Antrag stellen. In den Schutz der sozialen oder privaten Pflegeversicherung sind kraft Gesetz alle einbezogen, die in der gesetzlichen oder privaten Krankenversicherung versichert sind.
Achtung: Wer einen Antrag auf Pflegebedürftigkeit stellt, muss zuvor bereits fünf Jahre Mitglied in einer Pflegekasse gewesen sein. Seit 2000 müssen mindestens fünf Beitragsjahre in den letzten zehn Jahren vor der Antragstellung Zusammenkommen, ehe die Pflegekasse Leistungen gewährt. Ehegatten und Kinder sind wie bei der gesetzlichen Krankenversicherung familienversichert, sofern sie kein oder nur ein geringes eigenes Einkommen haben. Bei familienversicherten Kindern mit Pflegebedarf reicht es aus, wenn die Vorversicherungszeit von einem Elternteil erfüllt wird.
Die Pflegestufen
Der „pflegerische“ Hilfebedarf ergibt zusammen mit dem hauswirtschaftlichen Hilfebedarf den gesamten Hilfebedarf. Je nach dem täglichen Mindestbedarf an Hilfe wird zwischen folgenden Pflegestufen unterschieden:
Pflegestufe 1:
Definiert als „erheblich pflegebedürftig“. In Pflegestufe 1 wird eingestuft, wer einen Hilfebedarf von mindestens 90 Minuten hat. Davon muss mehr als die Hälfte pflegerischer Bedarf sein, also mindestens 46 Minuten. Außerdem muss der Hilfebedarf mindestens einmal täglich (Achtung: Einmal in der Woche duschen genügt demnach nicht) bei mindestens zwei Verrichtungen (zum Beispiel Waschen und Ankleiden) bestehen. Der hauswirtschaftliche Hilfebedarf kann sich dabei auf mehrere Male pro Woche verteilen, muss also nicht täglich erforderlich sein.
Pflegestufe 2:
Definiert als „schwer pflegebedürftig“. In Pflegestufe 2 wird eingestuft, wer einen Hilfebedarf von mindestens 180 Minuten aufweist. Davon müssen mindestens 120 Minuten auf den pflegerischen Bedarf entfallen. Außerdem muss die Hilfe im hauswirtschaftlichen Bereich mindestens dreimal täglich zu verschiedenen Zeiten notwendig sein. Der hauswirtschaftliche Hilfebedarf kann sich dabei auf mehrere Male pro Woche verteilen, muss also nicht täglich erforderlich sein.
Pflegestufe 3:
Definiert als „schwerst pflegebedürftig“. In Pflegestufe 3 wird eingestuft, wer einen Hilfebedarf von mindestens fünf Stunden aufweist. Davon müssen mindestens 240 Minuten auf den pflegerischen Bedarf entfallen. Der Hilfebedarf muss rund um die Uhr notwendig sein, also auch in der Nacht. Außerdem muss Hilfe im hauswirtschaftlichen Bereich mehrmals pro Woche erforderlich sein. Kurioserweise kann man somit streng genommen die Pflegestufe 3 erreichen, ohne den Hilfebedarf des täglichen Kochens zu haben.
Achtung: Die Pflegestufe wird nur gewährt, wenn alle genannten Kriterien erfüllt sind. So kann es durchaus Vorkommen, dass alle Voraussetzungen für Pflegestufe 2 er-füllt sind, aber an den nötigen 120 Minuten Pflege einige Minuten fehlen. Damit verbleibt der Versicherte in Pflegestufe 1.
Der Härtefall
Erstaunlicherweise existiert eine weitere Pflegestufe, die man jedoch einigermaßen verschämt als eine Art Erweiterung der Pflegestufe 3 definiert, manchmal wird sie inoffiziell auch als Pflegestufe 4 bezeichnet. Diese Klassifikation wurde geschaffen, um bei sehr schwer kranken Menschen, die außergewöhnlich viel Pflege benötigen, einen Ausgleich zu schaffen. Die nötigen Voraussetzungen sind ebenfalls außerordentlich streng. Um als Härtefall anerkannt zu werden, müssen zwei Hürden genommen werden.
Die erste Hürde: Außergewöhnlicher Hilfebedarf
Hiernach kann als Härtefall nur derjenige Versicherte anerkannt werden, der pro Tag (24 Stunden) mindestens sieben Stunden Pflege benötigt, davon mindestens zwei Stunden in der Nacht, wobei als Nacht die Zeit zwischen 21 Uhr abends und 6 Uhr morgens definiert wird. Wohlgemerkt: sieben Stunden Pflege. Die hauswirtschaftliche Versorgung bleibt hier außen vor.
Oder: Der Pflegebedürftige benötigt rund um die Uhr bei mindestens einer Verrichtung die gleichzeitige Hilfe von zwei Pflegepersonen. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn jemand dauerhaft im Bett liegt, sich nicht selbst bewegen kann und gelagert werden muss, gleichzeitig aber derart massive Schmerzen hat, dass er nur durch den vorsichtigen und schonenden Einsatz zweier Personen gleichzeitig einigermaßen schmerzfrei gelagert werden kann.
Bei den bestehenden Bestimmungen hinsichtlich der Minutenwerte ist es fast aussichtslos, sieben Stunden reine Pflege anerkannt zu bekommen. Die zweite Bedingung, zwei Pflegepersonen gleichzeitig, lässt sich dagegen recht häufig erfüllen. Allerdings gibt es da noch eine weitere Hürde.
Achtung: Eine der beiden Personen muss zwingend eine Privatperson sein! Es dürfen nicht zwei Mitarbeiter eines Pflegedienstes sein. Das bedeutet konkret: Wenn, um bei dem Beispiel zu bleiben, zwei Mitarbeiter eines Pflegedienstes das Lagern übernehmen, dann ist es vorbei mit dem Härtefall, selbst dann, wenn die beiden Profis nur zeitweise, etwa am Tage und nicht in der Nacht, tätig werden.
Die zweite Hürde: Deckelung
Selbst bei Erfüllung aller Voraussetzungen kann es passieren, dass der Versicherte trotzdem nicht in den Genuss der Härtefallregelung kommt. Und das wird er erst durch den Bescheid erfahren. Per Gesetz sind die Kassen nämlich verpflichtet, nicht mehr als 3 Prozent aller Personen in Pflegestufe 3 als Härtefall anzuerkennen. Wir haben es hier mit einer rein finanziell motivierten Deckelung zu tun, durch die übermäßige Ausgaben verhindert werden sollen. Konkret: Selbst wenn ein Versicherter alle Voraussetzungen erfüllt, kann ihm trotzdem die Anerkennung als Härtefall verweigert werden, weil das Kontingent seiner Versicherung gerade ausgeschöpft ist!
Das Problem: Die verschiedenen Krankenkassen weisen eine ganz unterschiedliche Altersstruktur auf, durch die ganz verschiedene Pflegerisiken entstehen. Sind Sie Mitglied in einer Krankenkasse, die außergewöhnlich viele alte Menschen versichert, ist es mehr als wahrscheinlich, dass sich recht viele dieser Mitglieder in Pflegestufe 3 befinden. Hierdurch wiederum werden wahrscheinlich relativ viele Plätze für die Härtefallregelung existieren. Eine kleine Kasse mit wenigen alten Menschen wird auch sehr wenige Versicherte in der Pflegestufe 3 haben, also wenig Chancen, dass ein Härtefallplatz „frei“ wird.
Hinzu kommt ein noch nicht abschließend geklärtes Phänomen: Der prozentuale Anteil der Versicherten mit Pflegestufe 3 an der Gesamtzahl der eingestuften Versicherten schwankt von Region zu Region, teilweise sogar ganz erheblich. Damit wird eine Aussage über Ihre persönliche Wahrscheinlichkeit, in den Genuss der Härtefallregelung zu gelangen, gänzlich unmöglich. In Pflegestufe 3 eingestuft zu werden, ist für sich genommen schon reichlich schwierig. Von denjenigen, die das „geschafft“ haben, erlangen nur 3 Prozent die Härtefallregelung. Das ist sehr wenig. Sie sollten also nicht damit rechnen.
Da die Begutachtung in relativ kurzer Zeit durchgeführt wird, sind Fehleinschätzungen nicht auszuschließen. Gutachter können die Pflegesituation off nicht ausreichend übersehen. Deshalb sollte man sich sorgfältig auf die Begutachtungssituation vorbereiten. Kommt es zu einer Fehleinschätzung, sollten Sie in jedem Fall Widerspruch einlegen (dazu in späteren Versicherungsartikeln mehr).
Zu den „Verrichtungen des täglichen Lebens“, die bei der Festsetzung der Pflegestufe eine Rolle spielen, gehören in der Praxis leider nicht alle wirklich notwendigen Verrichtungen, sondern nur diejenigen, die im Gesetz benannt sind. Pflegerische Verrichtungen des täglichen Lebens entsprechend dem Pflegeversicherungsgesetz sind:
■ Waschen, Baden, Duschen;
■ Zahnpflege und Mundpflege, Kämmen, Rasieren;
■ mundgerechtes Zubereiten und Aufnahme der Nahrung;
■ Darm- und Blasenentleerung;
■ Aufstehen und Zubettgehen, Umlagern im Bett;
■ An- und Auskleiden;
■ unvermeidbare Gänge außer Haus.
Wann bekommen Sie Leistungen zur Pflegeversicherung – Pflegestufen und Härtefall Teil 2