Wann bekommen Sie Leistungen zur Pflegeversicherung – Pflegestufen und Härtefall Teil 1
Achtung Leistungen zur Pflegeversicherung:
■ Jeder Gang im Haus oder in der Wohnung, der mit einer Pflegeverrichtung zu tun hat (zum Beispiel der Gang zur Toilette, um Wasser zu lassen), gehört zur Verrichtung und wird zeitlich anerkannt, wenn dabei Hilfe oder Aufsicht notwendig ist.
■ Als mundgerechtes Zubereiten der Nahrung werden nur spezielle notwendige Vorbereitungen angesehen. Es wird also unterschieden zwischen der normalen Zubereitung des Essens und der danach erforderlichen speziellen mundgerechten „Zerkleinerung“, wie etwa dem Passieren des Essens, dem Zerkleinern von Fleisch oder Zerschneiden einer Brotscheibe in mundgerechte Stücke. Das Schmieren von Broten oder Kochen des Essens wird als normale hauswirtschaftliche Tätigkeit angesehen.
■ Bei Darm- und Blasenentleerung werden ausnahmsweise auch das Entleeren und Reinigen von Toilettenstuhl oder nach Fehlhandlungen (Kotschmieren) notwendige Reinigungsarbeiten in der Wohnung als „pflegerische“ Verrichtungen anerkannt.
■ Als unvermeidbare Gänge außer Haus werden nur Fahrten oder Gänge zu Ärzten, Apotheken, Krankengymnasten oder anderen Therapeuten anerkannt. Nur die Wegezeiten werden zeitlich anerkannt, keine Wartezeiten, zum Beispiel beim Arzt. Spazieren gehen oder der Besuch einer kulturellen Veranstaltung werden nicht als unvermeidbare Gänge anerkannt.
■ Haare waschen und Fingernägel schneiden werden ebenso wenig wie die Hilfe oder Aufsicht bei der Einnahme von Medikamenten als pflegerische Verrichtungen anerkannt.
Ab wann können Leistungen aus der Pflegeversicherung beansprucht werden?
Leistungen aus der Pflegeversicherung können keineswegs erst dann beansprucht werden, wenn ein Mensch Pflege im engeren Sinn benötigt, also zum Beispiel, wenn jemand gewaschen werden muss, Inkontinenzeinlagen gewechselt werden müssen oder Ähnliches.
Ein Pflegebedarf nach der Pflegeversicherung besteht schon wesentlich früher. Bereits wenn eine andere Person (zum Beispiel der Angehörige) anwesend sein muss, um den Pflegebedürftigen anzuleiten oder zu beaufsichtigen, wenn er sich wäscht oder sich morgens anzieht, wird dies als pflegerischer Hilfebedarf anerkannt. Man spricht von einer notwendigen Anleitung oder notwendigen Beaufsichtigung bei einer „Verrichtung des täglichen Lebens“.
Leistungen der Pflegeversicherung werden gewährt, wenn der Zeitaufwand für die Durchführung solcher Hilfen eine dreiviertel Stunde am Tag übersteigt. Der Zeitaufwand wird von Gutachtern des Medizinischen Dienstes, einer unabhängigen Begutachtungsstelle, bei einem Hausbesuch eingeschätzt.
Daneben hängt die Einstufung immer auch von einem zusätzlichen hauswirtschaftlichen Hilfebedarf ab. Dieser ist jedoch in der Regel ausreichend gegeben und wird selten ein Hinderungsgrund.
Wie wird der Antrag auf Leistungen gestellt?
Zuständig für die Genehmigung der Leistungen sind die Pflegekassen, die den jeweiligen Krankenkassen angegliedert sind. Sie erreichen Ihre Pflegekasse also unter der gleichen Adresse oder Telefonnummer wie Ihre Krankenkasse.
Ein Antrag auf Leistungen aus der Pflegeversicherung ist formal bereits durch den Anruf bei der Krankenkasse (zugleich Pflegekasse) des Pflegebedürftigen gestellt. Meist wird von der Kasse sogar das Datum des Anrufs in die Antragsformulare eingetragen, die zugesandt werden. Im Antrag müssen die persönlichen Daten und die Leistungsart eingetragen werden, die man beziehen möchte. Manche Kassen legen dem Antragsformular einen Fragebogen bei, in dem bereits Angaben zum zeitlichen Hilfebedarf eingetragen werden sollen (siehe Pflegetagebuch).
Jeder Versicherte darf Pflegeleistungen in Anspruch nehmen. Es handelt sich dabei nicht um eine Versicherung für alte Menschen. Jede Person, übrigens auch die Angehörigen von kleinen Kindern und geistig verwirrten Erwachsenen (die ja selbst gar keinen Antrag stellen können), die der Ansicht ist, in erheblichem Umfang Hilfeleistungen in Anspruch nehmen zu müssen, kann bei der Pflegeversicherung einen Antrag stellen. Das bedeutet konkret, dass vom Neugeborenen bis zum Greis jedermann durch die Pflegeversicherung abgesichert ist.
Fordern Sie ein Antragsformular auf Pflegeleistungen bei Ihrer Pflegekasse an. Dieser Antrag kann aber auch formlos gestellt werden. Allen Pflegebedürftigen, die auf Grund ihres Einkommens möglicherweise einen Anspruch auf ergänzende Sozialhilfe haben, empfehlen wir, gleichzeitig mit dem Antrag bei der Pflegekasse vorsorglich einen Antrag beim Sozialamt zu stellen, um nicht auf Zahlungen verzichten zu müssen.
Allerdings gelten einige Eingangsvoraussetzungen, darunter als wichtigste natürlich die Mitgliedschaft in einer Krankenversicherung. Das gilt sowohl für privat Versicherte als auch für die Mitglieder in gesetzlichen Krankenkassen. Jede Krankenkasse ist verpflichtet, eine Pflegekasse zu betreiben, für die separat die gesetzlich festgelegten Beiträge zu entrichten sind. Mitglied ist auch das unmündige Kind der versicherten Mutter über die Familienregelungen der Kassen.
Außerdem gelten vorgeschriebene Vorversicherungszeiten. Wer nach dem 1.1.2000 einen Antrag stellt, muss in den vergangenen zehn Jahren mindestens fünf Jahre in eine Pflegeversicherung eingezahlt haben. Das hilft Personen, die zwischendurch ein paar Jahre selbstständig waren und auf eine Absicherung des Pflegerisikos verzichtet haben. Allerdings muss man zum Zeitpunkt der Antragstellung in der Pflegeversicherung Mitglied sein. Es hilft überhaupt nicht, vor Jahren Mitglied gewesen zu sein. Nur wer aktuell Mitglied ist, erhält die Versicherungsleistung.
Deutsche Staatsbürger erhalten auch Leistungen, wenn sie sich im EU-Ausland befinden, selbst wenn sie dort ihren Wohnsitz haben. Allerdings müssen sie trotzdem in einer deutschen Pflegeversicherung Mitglied sein. Außerdem wird nur Pflegegeld bezahlt. Leistungen, die von ausländischen Pflegediensten erbracht werden, können diese nicht mit der Pflegeversicherung abrechnen.
Nach der Antragstellung
Der Versicherte stellt seinen Antrag formlos und schriftlich per Post. Der Sachbearbeiter schickt umgehend ein Formular, mit dessen Hilfe die notwendigen Detailinformationen zur Pflegeversicherung gelangen. Zweite Möglichkeit ist das persönliche Erscheinen beim Sachbearbeiter und sofortiges Ausfüllen des Formulars. Der Versicherte kann auch einen Bevollmächtigten schicken. Nach Eingang des Formulars erhält der Versicherte einen Zwischenbescheid über das weitere Vorgehen. Im Kern wird dem Versicherten mitgeteilt, dass ein Gutachter zu Besuch kommen wird, um die Voraussetzungen für Pflegeleistungen zu prüfen. Die Zuerkennung der Leistungen ist an das Gutachten geknüpft, das heißt: Wenn Sie die Begutachtung verweigern, verweigert die Pflegeversicherung die Leistungen!
Das Verfahren endet vorläufig mit dem Bescheid. Darin erklärt die Pflegeversicherung rechtsverbindlich, ob und welche Pflegestufe dem Versicherten zuerkannt wird. „Vorläufig“ deshalb, weil der Versicherte ja auch Widerspruch einlegen und schlimmstenfalls vor Gericht gehen kann.
Achtung: Unabhängig von der Länge der Prozedur zwischen Antragstellung und Bescheid über die Pflegeleistungen: Die Pflegeversicherung leistet immer ab Antragstellung!
Anders herum bedeutet das aber auch, dass alle womöglich bereits vor der Antragstellung notwendigen Hilfeleistungen unter den Tisch fallen. Stellt also zum Beispiel ein Versicherter einen Antrag und erzählt dem Gutachter, dass die augenblickliche Situation mit erheblicher Pflegebedürftigkeit bereits seit zwei Jahren besteht, dann wird ihn das nicht kümmern. Der Versicherte hat es schlicht versäumt, zu einem früheren Zeitpunkt einen Antrag auf Pflegeleistungen zu stellen.
123Vesicherung rät: Stellen Sie rechtzeitig, auch schon bei Verdacht auf Pflegebedürftigkeit, den Antrag.
Antragsverfahren im Überblick: Nachfolgend im Schnelldurchlauf einige Bestandteile des Verfahrens, die später noch ausführlicher dargestellt werden.
In folgenden chronologischen Schritten läuft das Verfahren ab, um Pflegeleistungen zu erhalten:
■ Antrag auf Pflegeleistung bei der zuständigen Krankenkasse. Achtung: Erst das Antragsdatum ist auch maßgeblich für den Beginn der Zahlungen!
■ Die Krankenkasse beauftragt den Medizinischen Dienst (MD) mit der Prüfung der Pflegebedürftigkeit.
■ Begutachtungstermin des Arztes des MD beim Pflegebedürftigen. Der erfasst die Aufwendungen für Verrichtungen der Pflege.
■ Der Arzt des MD legt in einem Gutachten fest, welche Aufwendungen im Fall des Pflegebedürftigen erforderlich bzw. anrechenbar sind, und stellt einen Pflegeplan auf.
■ Die Krankenkasse stuft den Pflegebedürftigen nach Erhalt des Gutachtens in eine Pflegestufe ein. Der Bescheid geht dem Antragsteller auf Pflegegeld zu.
Pflegetagebuch:
Führen Sie mindestens eine Woche lang ein Pflegetagebuch, in dem Sie alle Hilfen, die Sie benötigen, aufführen (siehe weiter hinten in diesem Versicherungsratgeber).
Gutachten:
Die Pflegekasse beauftragt den Medizinischen Dienst der Krankenkassen, die Pflegebedürftigkeit einzuschätzen. Spätestens zwei Monate nach Antragstellung sollte die Begutachtung durch einen Arzt oder eine Pflegekraft des Medizinischen Dienstes bei Ihnen zu Hause erfolgen. Bitten Sie, falls schon vorhanden, Ihren Pflegedienst, an der Begutachtung teilzunehmen. Der Gutachter wird auf Grund eines Fragenkatalogs Ihre Pflegebedürftigkeit einschätzen und dieses Gutachten der Pflegekasse schriftlich vorlegen.
Bewilligung/Ablehnung:
In der Regel folgt die Pflegekasse dieser Entscheidung und schickt Ihnen eine Bewilligung oder Ablehnung zu.
Widerspruch:
Wenn Ihr Antrag abgelehnt wurde oder Sie mit der bewilligten Pflegestufe nicht einverstanden sind, legen Sie Widerspruch ein. Gerade psychisch kranke Menschen erscheinen vom äußeren Eindruck her oft weniger hilfe- und pflegebedürftig, als sie tatsächlich sind. Führt auch der Widerspruch nicht zu der Einstufung, die Sie für richtig halten, reichen Sie Klage beim Sozialgericht ein. Stellen Sie einen neuen Antrag, wenn die Widerspruchsfrist abgelaufen ist. Wenn sich der Pflegeaufwand seit der Begutachtung wesentlich erhöht hat, können Sie einen Antrag auf Höherstufung stellen.
Ergebnis der Prüfung:
Der MD hat der Pflegekasse das Ergebnis seiner Prüfung mitzuteilen und empfiehlt dabei eine ganze Reihe von Dingen, zum Beispiel Maßnahmen zur Rehabilitation oder die Art und den Umfang der Pflegeleistungen. Dazu gehört ein individueller Pflegeplan, der Auskunft gibt über verschiedene Details, die im Bereich der Grundpflege bewilligt werden. Außerdem informiert er über die für die hauswirtschaftliche Versorgung erforderlichen Hilfen. Dazu gehören auch die notwendigen Hilfsmittel und die nötigen technischen Hilfen. Die Prognose über die weitere Entwicklung der Pflegebedürftigkeit ist zu stellen, die Notwendigkeit von Wiederholungsuntersuchungen anzumerken. Über diese Entscheidung der Pflegekasse gibt es oft Auseinandersetzungen vor Gericht mit einer ganzen Reihe von Grundsatzentscheidungen, die weiter hinten im diesem Versicherungsratgeber ausführlich beschrieben sind.
Wohnungsanpassung:
Die Pflegekasse leistet Zuschüsse für Maßnahmen zur Verbesserung des individuellen Wohnraumes, wenn dadurch die häusliche Pflege ermöglicht, erheblich erleichtert oder eine selbstständige Lebensführung des Pflegebedürftigen wiederhergestellt wird. Zu altersgerechten baulich-technischen Veränderungen in der Wohnung eines Pflegebedürftigen gehören zum Beispiel der Einbau einer bodengleichen Dusche, das Anbringen von Treppenhandläufen, die Installation eines Treppenliftes, die Verbreiterung von Türen, die Beseitigung von Schwellen oder das Herabsetzen von Küchenschränken und Waschbecken.
Allerdings – so schreibt es das Gesetz vor – ist vom Versicherten ein „angemessener Eigenanteil“ zu entrichten. Dieser Eigenanteil beträgt nach den Empfehlungen der Pflegekassen 10 Prozent der Kosten für die durchgeführte Maßnahme, wobei jedoch 50 Prozent der monatlichen Bruttoeinkünfte zum Lebensunterhalt des Pflegebedürftigen nicht überschritten werden dürfen.
Will zum Beispiel ein Rollstuhlfahrer alle Türen seiner Wohnung verbreitern sowie hinderliche Schwellen beseitigen lassen, so gilt das Ganze insgesamt nur als eine Maßnahme, selbst wenn der Umbau in mehreren Einzelschritten erfolgt. Werden später durch eine Verschlechterung des Zustandes des Pflegebedürftigen weitere Umbaumaßnahmen notwendig, dann kann erneut ein Zuschuss bei der Pflegekasse beantragt werden.
Welche Maßnahmen im Einzelfall durchgeführt und bezuschusst werden können, wird in vielen Fällen schon bei der häuslichen Begutachtung durch den MD festgestellt. Wenn der MD eine baulich-technische Veränderung empfiehlt, gilt dies bei der Pflegekasse als Antrag. Inzwischen gibt es bundesweit über 160 Wohnberatungsstellen, die über mögliche Umbaumaßnahmen und Kosten informieren sowie Planungen übernehmen.