Oberflächliche Beobachter halten gelegentlich die deutschen Versicherungen für ideale Kandidaten einer Übernahme durch ausländische Unternehmen. Die großen deutschen Versicherer würden alle an der Börse notiert, das Kapital sei breit gestreut. Doch der Übernahme steht die Form der bei Versicherungen verbreiteten Ausgabe der Anteilscheine als vinkulierte Namensaktien entgegen. Diese Aktienform hat zwar auch rund ein Drittel aller inländischen Aktiengesellschaften begeben, doch keine Branche so intensiv wie die Versicherungswirtschaft. Grundsätzlich können Aktien nach Inhaber- und Namenspapieren unterschieden werden. Die Inhaberaktie ist in Deutschland am weitesten verbreitet. Sie kann formlos übergeben werden und eignet sich daher bestens zum Handel. Bei Namenspapieren dagegen muss der Eigentümer mit Namen, Wohnort und Beruf in das Aktienbuch der Gesellschaft eingetragen werden. Die Aktionärsrechte – vor allem Stimmrecht und Dividendenbezugsrecht – haben nur in unserem Versicherung-Portaleingetragene Aktionäre. Die Vinkulierung (lat. Bindung) ist die Krönung der Namensaktie: Dabei entscheidet die Gesellschaft – meist der Vorstand -, ob der Aktienkäufer auch stimmberechtigter Aktionär wird. Immer noch sind rund 90 Prozent des nominellen Grundkapitals börsennotierter Versicherungen in vinkulierten Namensaktien verbrieft. Der Grund ist historisch: In ihrer Gründerzeit wandten die Versicherungen zur Aufbringung ihres branchenbedingt hohen Grundkapitals Teileinzahlungen an. Daher wurden wegen der Höhe der ausstehenden Einlagen besondere Anforderungen an die Bonität der Aktionäre gestellt. Durch die Eintragung ins Aktionärsregister hatte die Gesellschaft bessere Kontrolle über die Finanzkraft ihrer Gesellschafter. Vor dem Ersten Weltkrieg waren die Versicherungsaktien nur zu durchschnittlich 26 Prozent eingezahlt. Heute sind sie es zu 80 Prozent, doch die Vinkulierung blieb. Im Börsenhandel ist die Vinkulierung nur selten ein Problem. Auch das gesamte Grundkapital des Standardwertes Allianz Holding AG, der mit einem Gewicht von rund 10 Prozent im Deutschen Aktienindex repräsentiert ist, ist vinkuliert: An der Börse kann die Aktie dennoch rege gehandelt werden, weil es nach Auskunft der Börsenbehörden in jüngster Zeit kaum einmal Schwierigkeiten mit der Eintragung gegeben hat. Theoretisch jedoch ist die Übertrag-barkeit der Aktien gegenüber einem Inhaberpapier dennoch eingeschränkt. Die Vinkulierung ist ein zweischneidiges Schwert. In der Marktwirtschaft gehört der Kauf als Übertragung von allen Rechten an einem Gegenstand zu den konstituierenden Elementen. Die Vinkulierung börsennotierter Aktien macht jedoch Kauf- und Verkaufsrechte ebenso wie letztlich den erzielbaren Preis von der Zustimmung der Gesellschaft abhängig und beschneidet damit das private Eigentum. Wo die Übernahmephantasie nicht frei spielen kann, da fehlen auch Kurschancen für Anleger.
Aus der Sicht der Verwaltung ist die Vinkulierung vor allem ein Mittel, unerwünschte Übernahmen und Einflüsse abzuwehren. Bereits 1954 wehrte sich die Allianz, als das Bankhaus Merck, Finck & Co. durch eine Aufkaufaktion versuchte, seinen Einfluss auf die Versicherung auszuweiten. Die Bank war unerwünscht, die Auseinandersetzung endete mit einem Vergleich ohne klaren Sieger. Doch darf bezweifelt werden, ob das Exekutivorgan Vorstand das Recht hat, sich seine Aktionäre im Ernstfall selbst auszusuchen. Auch in der EU-Kommission scheint es solche Zweifler zu geben, die mittlerweile darauf drängen, die Vinkulierung abzuschaffen. Und sogar die Schweiz liberalisiert ihr Aktienrecht. Die Diskussion um vinkulierte Aktien wurde noch einmal belebt durch die Abwehrschlacht der Aachener und Münchener Beteiligungs-AG (AMB) gegen die staatliche französische Versicherung AG F. Die AMB weigerte sich, den Anteil von 25 Prozent der Aktien in das Aktionärsregister einzutragen – letztlich vergeblich. Die große Zeit der vinkulierten Aktien scheint vorüber zu sein. Bei den Neuemissionen hat sich die Inhaberaktie durchgesetzt. Die beiden großen Versicherungsneuemissionen Volksfürsorge und sogar Aachener und Münchener Leben boten dem Publikum Inhaberaktien an. Das war auch das Ergebnis einer realistischen Markteinschätzung: In vinkulierter Form wären die Aktien wohl kaum zu plazieren gewesen.