Nur die wenigsten Versicherten wissen, dass sich auch ihr Versicherer wieder versichert. Das tut er in jedem Versicherungszweig mit einem unterschiedlichen Prozentsatz: In der gut kalkulierbaren Lebensversicherung wird wenig rückversichert, in der schadenträchtigen Industrie-Feuerversicherung viel. Offiziell schließt der Versicherer einen Vertrag mit dem Rückversicherer, damit dieser einen Teil des Risikos übernimmt. Doch das ist nicht die ganze Wahrheit. Der andere Teil der Wahrheit betrifft den Verbraucher und was mit seinen Prämien geschieht. Ein Beispiel: die Insassenunfallversicherung, eine fast immer überflüssige Versicherung. Die Schadenquote der Versicherungen in diesem besonders profitablen Geschäft liegt unter lächerlichen 20 Prozent. Doch rund 24 Prozent der Prämien gehen an die Rückversicherer. Ist so viel Vorsicht notwendig? Die Antwort ist: Nein. Doch um den Zweck dieser Art Rückversicherung zu verstehen, ist ein Blick auf ihren ursprünglichen Sinn notwendig. Eine Rückversicherung entlastet den Erstversicherer, indem er einen Teil seiner Risiken an den Rückversicherer weitergeben kann: Er begrenzt und verteilt damit sein Risiko. Damit vergrößert der Erstversicherer die Kapazität seines Zeichnungsrisikos. Wegen des Rückversicherers kann der Erstversicherer auch schadenschwere Risiken wie Flugzeuge, Satelliten oder Bohrinseln übernehmen. Außerdem kann es im normalen Schadenverlauf zu erheblichen jährlichen Schwankungen kommen.
Um sich davor zu schützen, dass verschiedene Großschäden oder Stürme auch die Bilanz durchschütteln, beschränkt sich der Erstversicherer auf einen bestimmten Eigenbehalt. Das darüber hinausgehende Risiko wird dem Rückversicherer übertragen. Dies mag ein Argument für risikoreiche Sparten sein, für die Insassenunfallversicherung jedoch nicht. Der Grund der Rückversicherung liegt hier in den Provisionen, die von den Rückversicherern an die Erstversicherer zurückfließen. Denn das Rückversicherungsgeschäft ist auf Gegenseitigkeit ausgerichtet: Einerseits bekommt der Rückversicherer einen Anteil der Prämien des Erstversicherers, auf dem Weg retour aber bekommt der Erstversicherer wiederum eine Rückversicherungsprovision. Damit sollen ihm seine Kosten erstattet werden, zum Beispiel die Provisionen, die er für die Abschlüsse aufwenden musste. Daher findet sich in fast allen Versicherungskonzernen auch ein Rückversicherer, der sich bestens als Verschiebebahnhof für Prämieneinnahmen eignet: Je nach Belieben können so auch in staatlich kontrollierten Sparten wie der Auto-oder Lebensversicherung, wo die Gewinne begrenzt sind, Gewinne auf den Rückversicherer verschoben werden, der keiner staatlichen Aufsicht unterliegt.
Die Technik der Rückversicherung: Von Zession und Retrozession
Nur in einem Fall wäre die Rechnung für den Erstversicherer kinderleicht: Wenn von 1 000 Menschen jedes Jahr einer tödlich verunglückt und jeder eine Versicherungssumme von 100 000 € in der Lebensversicherung hat, dann braucht er eine Jahresnettoprämie von 100 € je Versicherten. Also 1 Promille. In Wirklichkeit aber wünschen viele Kunden einen anderen Versicherungsschutz: Da möchte einer mit 200 000 € versichert sein, ein anderer mit 150 000 €, womöglich gar noch einer mit 300 000 €. Damit gerät die obige Rechnung aus dem Gleichgewicht. Denn theoretisch könnte der Schaden eines Jahres ausgerechnet auf die höchsten Versicherungssummen entfallen. Dann fehlen in der Gewinn-und-Verlust-Rechnung auf einmal bis zu 300000 €. Um dem vorzubeugen, gibt der Erstversicherer das über die homogene Gruppe hinausgehende, besonders hohe Risiko – mit hohen Versicherungssummen – an einen Rückversicherer ab. In der Fachsprache heißt das, er zediert das Risiko: Damit gleicht er seine Risiken einander an und nivelliert sie. Der Rückversicherer kann aber auch einen bestimmten prozentualen Anteil an allen Erstrisiken übernehmen, unabhängig von der Höhe der Versicherungssumme. Dann bekommt er einen Prämienanteil, muss sich aber umgekehrt auch an den Kosten des Erstversicherers für Vertreterprovision und Verwaltung beteiligen.
Meist zahlt er eine pauschalierte Kostenbeteiligung zurück. Eine andere Variante der Rückversicherung ist es, den Jahresschadenaufwand für den Erstversicherer einfach zu begrenzen: Der Rückversicherer übernimmt in einem Stop-Loss-Vertrag alle Schäden, die über einen festgelegten Betrag hinausgehen. Der Rückversicherer muss ebenfalls auf eine ausgeglichene Rechnung achten: Er sollte daher in möglichst vielen Zweigen, möglichst vielen Branchen und möglichst vielen Ländern engagiert sein. Er muss auch akquirieren: Nur das sogenannte schwere, also risikoträchtige Geschäft kommt von allein. Beispiele sind die Industrie-Feuerversicherung oder die Produkt-Haftpflicht. Das gewinnbringende Geschäft muss er sich selbst suchen. Vor allem international ist die Rückversicherung ein knallhartes Geschäft, in dem um Promille gefeilscht wird. Außerdem kann sich auch der Rückversicherer rückversichern, indem er selbst nach obigem Muster wieder seine Spitzenrisiken weitergibt (Retrozession). Oder das Spitzenrisiko des Erstversicherers kann von vornherein zwischen verschiedenen Rückversicherern aufgeteilt werden. Die Macht der Rückversicherer ist still, aber groß. Sie unterliegen auch nicht der staatlichen Versicherungsaufsicht, da die Geschäftsbeteiligten stets Kaufleute sind und somit Verbraucher nicht geschützt werden müssen. Im großgewerblichen Geschäft können sie sogar den Wettbewerb der Erstversicherer stoppen: Die Rückversicherer haben dazu eine Tarifierungskommission (Tako) gebildet, die bestimmte Risiken – vor allem im verlustträchtigen Industriegeschäft – tarifiert. Wenn sich ein Erstversicherer nicht an diese Tarife hält, bekommt er keine Rückversicherung mehr.
Münchener Rück: Die graue Eminenz
Sie ist eine graue Eminenz mit einem weltweiten Prämienvolumen von rund 54 Milliarden €, rund acht Prozent der Prämieneinnahmen der deutschen Versicherungswirtschaft. Sie hält Anteile von 24,9 Prozent an der Allianz Versicherung Holding, 40,6 Prozent an der Allianz Leben, 80 Prozent an der Hamburg-Mannheimer, 54 Prozent an der Berlinischen Leben, 54 Prozent an der Karlsruher Leben, 63 Prozent an der Ergo-Gruppe (Hamburg-Mannheimer, DKV, D.A.S., Victoria), 25 Prozent an der Helvetia-Patria-Gruppe. Hinzu kommen strategische Beteiligungen an anderen Unternehmen, darunter sogar eine Beteiligung von 25 Prozent an einer Hamburger Brauerei. Die Münchener Rück ist der größte Rückversicherer der Welt. Der einzige Superlativ, den diese Versicherung nicht in Anspruch nehmen kann, ist der der ältesten Rückversicherung: Mit diesem Titel darf sich die 1846 gegründete Kölnische Rückversicherung schmücken. Die Münchener Rück wurde erst 1880 gegründet. 1890 ging aus ihr die Allianz-Versicherung hervor. Der langjährige Vorstandsvorsitzende Horst Jannott war in der Öffentlichkeit weithin unbekannt: Er saß von 1969 bis Anfang 1993 auf dem Chefsessel. Dann übergab er das Amt an Hans-Jürgen Schinzler, der in der Öffentlichkeit ebensowenig auffällt.
Die deutschen Rückversicherer müssen sich nicht der rigorosen staatlichen Aufsicht unterwerfen wie die Erstversicherer. Damit sind sie auch in ihrer Kapitalanlagepolitik frei: Die rund 75 Angestellten der Anlageabteilung der Münchener Rück dürfen investieren, wo immer sie es für richtig halten. Die Rückversicherer leben mit Katastrophen aller Art: Ob Hurrikan, Wirbelstürme, Erdbeben oder seltene Risiken – immer sind sie beteiligt. Unter den rund 1 600 Angestellten der Münchener Rück sind fast 75 Ingenieure, die technische Risiken bewerten. Auch sechs Ärzte sind angestellt, die Risiken wie Schauspielernasen oder seltene Krankheiten taxieren. In Deutschland sind die Beziehungen zwischen Rückversicherer und Erstversicherer traditionell eng. Es gibt gegenseitige Verflechtungen, und wenn ein Erstversicherer finanzielle Hilfe braucht, bekommt er sie vom Rückversicherer auch. Die deutschen Erstversicherer geben auch weit mehr Geschäft zur Rückversicherung als andere Nationen: Rund zwei Drittel des Risikos der industriellen Feuerversicherung und ein Drittel des Risikos der industriellen Haftpflichtversicherung werden rückversichert. Die deutschen Rückversicherer sind extrem kapitalstark. Die Bilanzierung erfolgt nach dem strengen Niederstwertprinzip: In der Bilanz stehen also die historisch niedrigsten Kosten; die Werte werden abgeschrieben, wenn ihr Marktwert fällt, aber nicht hochgeschrieben, wenn ihr Wert steigt. Dadurch entstehen Milliardenwerte an stillen Reserven. Auch die Akquisitionen stehen zum niedrigsten Wert seit Erwerbung in der Bilanz. Analysten vermuten beispielsweise, dass die 25 Prozent Beteiligung an der Allianz Holding und 40 Prozent an der Allianz Leben mit einem Marktwert von einer zweistelligen Milliardensumme in den Büchern der Münchener Rück mit fast Null steht. Auch die in der Bilanz angegebenen Buchwerte für Beteiligungen sind weit unter dem Marktwert. Und der Wert der Kapitalanlagen dürfte rund dreimal so hoch sein wie angegeben.
Beteiligungen der Münchener Rück in Deutschland
100 % Hamburg-Mannheimer Versicherungs-AG, Hamburg
99.9 % Deutsche Krankenversicherung AG, Köln
54 % Karlsruher Lebensversicherung AG, Karlsruhe
45 % Bayerische Versicherungsbank AG, München 40,6 % Allianz Lebensversicherungs-AG, Berlin/München 35 % Allianz Allgemeine Rechtsschutzversicherungs-AG, München
100 % Europäische Rückversicherung AG, München.
100 % Hamburg-Mannheimer Sachversicherungs-AG, Hamburg
29,76 % Deutscher Lloyd Versicherungs-AG, Berlin/München
25,11 % Hutschenreuther AG, Selb (Bayern)
24.9 % Allianz AG Holding, München
25 % Allgemeine Kreditversicherung AG, Mainz 25 % Mecklenburgische Leben
Versicherungs-AG, Hannover
25 % Tela Versicherung AG, Berlin/München
92.5 % Victoria Versicherung AG, Düsseldorf
17,2 % Generali Münchener Lebensversicherung AG, München
12.6 % Salamander AG, Kornwestheim
72.6 % D. A. S. Rechtsschutz-Versicherungs-AG, München
8 % Aachener und Münchener Beteiligungs-AG, Aachen
unter 20 Prozent: Degussa AG, Frankfurt/Main; Hapag-Lloyd AG, Hamburg; Heidelberger Druckmaschinen AG, Heidelberg; Hochtief AG, Essen; MAN AG, München; Nürnberger Beteiligungs-AG, Nürnberg; WMF Württembergische Metallwarenfabrik, Geislingen.
etwas über 5 Prozent: Bayerische Hypo- und Vereinsbank, München; BHF-Bank, Frankfurt; IKB Deutsche Industriebank, Düsseldorf; Mannheimer Versicherung, Mannheim.