Haftung bei Gefälligkeitshandlungen
Keine Haftung bei bloßer Gefälligkeit
HANDELSBLATT, 4. Juni 2002 dpa KOBLENZ. Wer aus Gefälligkeit in einem unbewohnten Haus gelegentlich Reinigungsarbeiten vornimmt und dabei vergisst, den Hauptwasserhahn wieder zu schließen, haftet nicht bei einem Wasserschaden. Nach einem am Montag bekannt gewordenen Urteil des Oberlandesgerichts (OLG) Koblenz, muss auch in einem vorübergehend leer stehenden Haus nicht mit defekten Wasserleitungen gerechnet werden. Eine zwingende Veranlassung, den Haupthahn regelmäßig bei Verlassen des Hauses wieder zu schließen, bestehe daher nicht (Az.: 5 U 570/ 01).
Das Gericht wies die Schadensersatzklage zweier Hauseigentümerinnen ab. Die beiden‘ Frauen hatten ihre Mutter verklagt, die in dem leer stehenden Haus gelegentlich Reinigungsarbeiten vornahm. Bei einem der Besuche vergaß die Mutter, im Anschluss an die Reinigung den Hauptwasserhahn wieder zu schließen. Auf Grund eines Leitungsdefektes entstand im Haus ein Schaden von rund 83 000 DM (42 437,23 €).
Durch diverse Gerichtsurteile sind Haftungserleichterungen aufgrund eines stillschweigenden Haftungsverzichts bei Gefälligkeiten bestätigt worden.
Unter Gefälligkeiten versteht man die unentgeltliche Gewährung von Dienstleistungen oder sonstigen Vorteilen, auf die der Leistungsempfänger keinen Anspruch hat. Dazu gehört beispielsweise die Mithilfe des Freundes bei einem Umzug oder eines Verwandten bei häuslichen Arbeiten, das Beaufsichtigen von Nachbarskindern oder die Mitnahme eines Fahrgastes im Auto. Da es hier an einem Rechtsbindungswillen fehlt, entfällt eine Vertragshaftpflicht, und die Deliktshaftung beschränkt sich auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit. Schließlich wäre es auch unbillig, dass denjenigen ein Haftpflichtrisiko schon bei jeder Art von Fahrlässigkeit trifft, der unentgeltlich und unter Inkaufnahme von Unannehmlichkeiten jemandem einen Gefallen erweist.
Verletzung der Verkehrssicherungspflicht
Besondere Bedeutung hat die in der Rechtssprechung – i. V. mit § 823 Abs. 1 BGB – entwickelte Allgemeine Verkehrssicherungspflicht, die heute als Gewohnheitsrecht allgemein anerkannt wird.
– Jeder, der durch sein Tun oder Unterlassen eine Gefahrenquelle geschaffen hat,
ist dazu verpflichtet, Sicherungsvorkehrungen zu treffen, die zur Abwendung eines Schadens von Personen und Sachen erforderlich sind.
Verkehrssicherungspflichtig sind insbesondere alle, die Straßen, Verkehrsmittel, Grundstücke oder Räume dem Verkehr eröffnen, also z.B. die Inhaber gewerblicher oder landwirtschaftlicher Betriebe, Hausbesitzer, Wohnungs- und Ladenmieter, politische Gemeinden. Verkehrssicherungspflichtig ist darüber hinaus jeder Teilnehmer am Straßenverkehr.
Gemeinde haftet für Schlaglöcher
ap MÜNCHEN. Ein Autofahrer, dessen Fahrzeug durch ein Schlagloch beschädigt wird, kann die Gemeinde wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht haftbar machen. Wie der ADAC unter Berufung auf das Landgericht Augsburg
mitteilte, tritt dieser Fall ein, wenn die Gemeinde keine Warnschilder an einer verkehrsreichen Straße mit erheblichen Frostaufbrüchen aufgestellt hatte (AZ: LG Augsburg 1 0 52S8/90 Zfs 12/91,404).
Was der Pflichtige im Einzelfall zu tun hat, um Schäden von Dritten fernzuhalten, regelt sich danach, was nach den jeweiligen Umständen vernünftigerweise zumutbar ist, wobei der typische Verkehr an der konkreten Örtlichkeit maßgebend ist. •
Beispiele:
• Der Bauunternehmer muss Baugruben absichern, z.B. durch Umzäunung und
Aufstellung von Warnschildern.
• Der Mietshausbesitzer hat für eine ordentliche Treppenhausbeleuchtung, für
ausreichende Treppengeländer, in schneereichen Gebieten für Schneefanggitter
(zumindest Warnschilder) und grundsätzlich für die Reinigung der Geh- und
Zugangswege zu den Wohnungen (winterliche Streupflicht) zu sorgen.
• Die Gemeindeverwaltung hat Ortsstraßen, Wege, Brücken und sonstige
Einrichtungen in verkehrssicherem Zustand zu halten (u. a. winterlicher Streu- und
Räumungspflicht, Beseitigung von bzw. Warnungen vor Schlaglöchern usw.)
Erforderliche Sicherheitsvorkehrungen sind teilweise durch Schutzgesetze auferlegt, wie z. B. die winterliche Streu- und Räumungspflicht durch örtliche Polizeivorschriften. Der Schadenersatzanspruch kann dann auch mit der Verletzung eines Schutzgesetzes begründet werden.
Verletzung eines Schutzgesetzes gemäß § 823 Abs. 2 BGB
Diese Vorschrift dehnt die Schadenersatzpflicht auf eine rechtswidrige und schuldhafte Verletzung von Schutzgesetzen aus. Schutzgesetze sind alle geschriebenen oder ungeschriebenen Rechtsnormen – Gesetz, Verordnung, Satzung u.a. – des privaten oder öffentlichen Rechts, die zum Schutz des Einzelnen oder eines Personenkreises erlassen worden sind.
a) Als solche Schutzgesetze sind u.a. anzusehen:
• Bestimmungen des StGB (Strafgesetzbuch), wie § 223 StGB (Körperverletzungen)
und § 309 StGB (fahrlässige Brandstiftung),
• Bestimmungen der StVO und des StVG (Straßenverkehrsverordnung bzw. -gesetz),
wie z.B. § 21 StVG Fahren ohne Führerschein,
• Bestimmungen zum Verbraucherschutz (Nahrungsmittel-, Arzneimittel-,
Gerätesicherungsgesetz),
• Gemeindesatzungen bzw. Polizeiverordnung über das Streuen bei Glatteis, die
Reinigung der Bürgersteige bzw. Straßen oder z. B. das Fahrverbot für Radfahrer in
der städtischen Fußgängerzone.
Beispiel:
A, dem ein entsprechendes Fahrverbot bekannt ist, fährt in der Fußgängerzone von Freiburg Fahrrad. Obwohl er äußerst vorsichtig gefahren ist, wird er dem Fußgänger B Schadenersatz leisten müssen, wenn er diesen in der Fußgängerzone verletzt.
b) Abgrenzung zur Verletzung eines Rechtsgutes nach § 823 Abs. 1 BGB
§ 823 Abs. 2 BGB schreibt zwar vor, dass auch bei einem Schutzgesetzverstoß der Schädiger nur dann schadenersatzpflichtig ist, wenn er zumindest fahrlässig gehandelt hat.
Wie das o. a. Beispiel aber zeigt, genügt es, wenn sich die Fahrlässigkeit nur auf die Übertretung des Schutzgesetzes bezieht. Außerdem ist das Verschulden bei einem objektiv vorliegenden Verstoß nach Richterrecht zugunsten des Geschädigten vermutbar, d.h., hier muss der Schädiger seine Schuldlosigkeit nachweisen (umgekehrte Beweislast), um von einer Schadenersatzpflicht freizukommen.
Von § 823 (2) BGB werden auch reine Vermögensschäden erfasst.