Der vom Versicherungsunternehmen zu erbringende Leistungskatalog ist im Laufe der letzten Jahrzehnte erheblich erweitert worden. Zu seiner hauptsächlichen Pflicht, bei Eintritt eines Versicherungsfalles eine vereinbarte oder sich aus dem Schaden ergebende Geld- oder Sachleistung zu erbringen, sind Zusatzpflichten getreten, die vor allem den Belangen der Verbraucher als Versicherungsnehmern entgegenkommen sollen, nämlich:
• Informationspflichten vor Abschluss des Vertrages, bei Änderungen des Vertrages und vielfach auch im Vertragsverlauf – Letzteres vor allem in der Lebensversicherung,
• Aufklärungspflichten, die den Versicherungsnehmer deutlich auf seine Obliegenheiten hin- weisen, die er für eine ordnungsgemäße Vertragsabwicklung zu erfüllen hat,
• Belehrungspflichten, durch die der Versicherungsnehmer vor allem über die nachteiligen Folgen seines Verhaltens und Fehlverhaltens in Kenntnis gesetzt wird.
Hinzu kommen in wachsendem Ausmaß Berichtspflichten gegenüber Aufsichtsbehörden, die der Überwachung einer im Sinne der Versicherungskunden hinreichend sicheren, aber auch ertragreichen Geschäftsführung dienen sollen.
In diesem Artikel steht die Leistung des Versicherers im Versicherungsfall im Fokus. Wie schon in unserem Versicherung-Ratgeber geschildert, tritt der Versicherungsfall mit der Realisierung des versicherten Risikos bzw. einer versicherten Gefahr ein. Die Risikodefinition geschieht über:
• Primäre Abgrenzung als Beschreibung der Risiken, Gefahren oder Schäden; wo dies konkret nicht möglich ist, existieren abstrakte Umschreibungen.
• Sekundäre Abgrenzung als weitergehende Einschränkung der Primärabgrenzung; es können Ausnahmen oder Abweichungen formuliert werden; Ausschlüsse lassen sich absolut oder fakultativ fassen, mit der Möglichkeit des Wiedereinschlusses gegen Beitragszuschläge.
• Risikoausweitungen, durch die andererseits auch zusätzliche Gefahren in die Deckung einbezogen werden können.
• Präzisierungen zur Vermeidung von Interpretationsschwierigkeiten.
Beispiel:
Abstrakte Umschreibungen sind etwa die Definitionen der AVB für die Begriffe „ Unfall“ und „ Brand“. ln der Unfallversicherung werden vielfach auch bestimmte Vergiftungen mit eingeschlossen, obwohl es sich nicht um Unfallereignisse handelt („Einwirkung von außen“), die aber bei der Absicherung besonders von Kindern eine Rolle spielen. In der privaten Krankenversicherung werden Maßnahmen wegen Schwangerschaft und Entbindung ausdrücklich einbezoqen, auch wenn man hierbei keinen Krankheitscharakter unterstellen wird.
Für die Entscheidung, ob ein eingetretener Schaden auf eine versicherte Gefahr zurückzuführen ist (Kausalzusammenhang), findet in Grenzfällen das Prinzip der Adäquanz Anwendung, nach der eine Tatsache mit ausreichender Wahrscheinlichkeit einen Schaden herbeiführen kann, und zwar nur unter besonders eigenartigen Voraussetzungen.
Die Beweisführung obliegt dabei immer derjenigen Vertragspartei, die sich auf für sie vorteilhafte Tatsachen beruft. Der Versicherungsnehmer muss demnach die Voraussetzungen seines Anspruchs darlegen können. Der Versicherer muss umgekehrt den Nachweis führen, wenn er Ausnahme- und Ausschlusssachverhalte für sich in Anspruch nimmt.
Ob und bei wem sich ein versichertes Risiko realisiert hat, hängt davon ab, welche versicherten Interessen beeinträchtigt sind. Das versicherte Interesse liegt ganz allgemein bei dem, der für einen Schaden aufkommen müsste, wenn kein Versicherungsschutz gegeben wäre. Man unterscheidet hierbei grob zwischen der Aktivenversicherung, bei der das Interesse in der Werterhaltung von Vermögensgütern besteht, und der Passivenversicherung, bei der es um den Schutz des Vermögens vor Einbußen und Belastungen geht.
Beispiel:
Zur Aktivenversicherung zählen die Zweige der Sachversicherung, aber auch die Versicherung gegen Forderungsausfälle (Kreditversicherung) und die Betriebsunterbrechungsversicherung. In die Kategorie der Passivenversicherung fallen die Haftpflichtversicherungen und die Krankenversicherung, aber auch das Rückversicherungsgeschäft.
Die einjährige Übergangsfrist bei der Anwendung des neuen Versicherungsvertragsrechts auf Altverträge gilt im Grundsatz auch für Regelungen, die den Versicherungsfall betreffen. Zur klaren Abgrenzung wurde aber festgelegt, dass das Datum ausschlaggebend ist, an dem der Versicherungsfall eintritt. Versicherungsfälle, die sich bei Altverträgen bis zum 31. Dezember 2008 ereignen, werden nach altem Recht abgewickelt – auch dann, wenn die Abwicklung über diesen Abgrenzungstermin hinaus andauert.
Die konkrete Höhe der Versicherungsleistung richtet sich nach verschiedenen Größen, die durch die Begriffe Versicherungssumme, Versicherungswert und Versicherungsschaden beschrieben werden. Am einfachsten liegt der Fall in der Summenversicherung, bei der im Versicherungsfall die vereinbarte Versicherungssumme zu leisten ist. Die Bestimmung des konkreten Schadens ist hierbei also entbehrlich und wäre im Regelfall auch kaum möglich (etwa in der Lebensversicherung).
In der Schadenversicherung hat die Versicherungssumme die Funktion einer Obergrenze, bis zu der versicherte Schäden ersetzt werden. In der Passivenversicherung begrenzt die Versicherungs- oder Deckungssumme die Schadenersatzleistung des Versicherers, die jedoch die Bemessung des eingetretenen Schadens voraussetzt. Dabei sind Rettungskosten und Aufwendungen zur Schadenermittlung inbegriffen.
In der Sachversicherung tritt der Versicherungswert hinzu, der grundsätzlich als Wiederbeschaffungswert definiert wird. Darunter wird der Betrag verstanden, der zum Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalles für die Wiederbeschaffung oder Wiederherstellung der Sache in neuwertigem Zustand aufzuwenden wäre, nach einem Abzug für den durch Gebrauch eingetretenen Wertverlust (§88 VVG).
Durch ausdrückliche Vereinbarung können die Vertragsparteien abweichend auch den Neuwert einer Sache als Versicherungswert festlegen; es kann auch ein fester Betrag (Taxe) bestimmt werden (§76 VVG).
Die Wiederherstellungsklausel (§ 93 VVG) betrifft in den Sachversicherungszweigen den Fall, dass im Vertrag vereinbart wurde, die Entschädigung oder Teile davon nur bei Wiederherstellung oder Wiederbeschaffung der versicherten Sache zu leisten. Hier soll sichergestellt werden, dass der Versicherer über den Zeitwert hinausgehende Beträge erst zu zahlen hat, wenn eine zweckgebundene Verwendung garantiert ist. Deshalb muss der Versicherungsnehmer auch die Differenz aus Leistung und Versicherungswert zurückerstatten, wenn diese Verwendung nicht innerhalb einer vorher vereinbarten Frist nachgewiesen werden kann. Die Wiederherstellungsklausel galt im alten Versicherungsrecht (§97 VVG-alt) nur für die Gebäudeversicherung.
Das in §55 VVG-alt formulierte Bereicherungsverbot wurde in der Novelle aufgegeben. Der Grund liegt darin, dass daraus auch bisher schon kein generelles Verbot abzuleiten war, dem Versicherungsnehmer mehr als den Betrag des tatsächlichen Schadens zu erstatten. Dies kann etwa bei der Neuwertversicherung oder bei der Schadenregulierung auf Basis einer Taxe geschehen. Vielmehr geht es um die Vermeidung von Mehrleistungen, die sich aus einer betrügerischen Absicht aufseiten des Versicherungsnehmers ergäben. Diesen Fall behandeln umfassender die §§ 74, 78 und 79 VVG. Auch sie sind nur in der Schadenversicherung relevant.
§74 VVG legt fest, dass bei erheblicher Überversicherung – wenn die Versicherungssumme den Versicherungswert unüblicherweise mehr als 10% übersteigt – jede Vertragspartei mit sofortiger Wirkung verlangen kann, die Versicherungssumme auf das Niveau abzusenken, das dem Versicherungswert angemessen ist. Der Beitrag ist dabei anteilig zu kürzen. Eine Überversicherung kann im Laufe der Zeit durch Wertverlust entstehen oder von Anfang an vorliegen.
Wurde die Überversicherung vom Versicherungsnehmer in betrügerischer Absicht herbeigeführt, ist der Vertrag nichtig; zu seiner Beendigung bedarf es also keines Rücktritts und keiner Kündigung durch den Versicherer. Das Prinzip der Unteilbarkeit des Beitrages wird dabei – abweichend vom sonstigen Vorgehen in der VVG-Novelle – insofern beibehalten, als dem Versicherer auch zukünftig der Versicherungsbeitrag bis zu dem Zeitpunkt zusteht, an dem er Kenntnis erlangt.
Entsprechend ist zu verfahren, wenn ein Interesse bei mehreren Versicherern gegen dieselbe Gefahr versichert ist und die Summen insgesamt den Versicherungswert übersteigen (§§ 78 und 79 VVG). Diese Konstellation wird als Mehrfachversicherung (früher: Doppelversicherung) bezeichnet. Betrügerische Absicht beim Versicherungsnehmer führt auch hier zur Nichtigkeit sämtlicher Verträge. Sonst darf der Versicherungsnehmer den später geschlossenen Vertrag auf- heben oder die Versicherungssumme bei entsprechender Beitragssenkung geeignet herabsetzen lassen. Liegt hingegen keine Betrugsabsicht vor, haften im Versicherungsfall alle beteiligten Versicherer gesamtschuldnerisch bis zur gemeinsamen Obergrenze des Gesamtschadens; sie leisten dabei im Verhältnis der Schadenzahlungen, die sich einzelvertraglich ergäben.
Mehrfachversicherung ist grundsätzlich mit einer zusätzlichen Obliegenheit des Versicherungsnehmers verbunden. Dieser hat nämlich jeden Versicherer über die anderen Verträge zu informieren und dabei die jeweils anderen Versicherer und Versicherungssummen zu nennen (§77 VVG).
Analog zur Überversicherung existiert der Fall der Unterversicherung, bei der die Versicherungssumme den Versicherungswert zum Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalles unterschreitet. Hier ist der Versicherer zur anteiligen Kürzung der Schadenzahlung berechtigt. Das alte VVG ließ dies schon bei geringfügiger Unterversicherung zu. In der neuen Fassung wird eine erhebliche Abweichung vorausgesetzt, die entsprechend dem Fall der Überversicherung auf mindestens 10% taxiert werden sollte (§75 VVG).
Beispiel:
In der Hausratversicherung ist Unterversicherung ein Standardproblem. Normalerweise bieten die Versicherer an, keine Unterversicherung geltend zu machen, wenn man eine bestimmte, aus bestandsübergreifenden Schätzungen gewonnene Mindestversicherungssumme abschließt. Die genaue Ermittlung des Versicherungswertes kann sehr aufwendig sein, da hier nicht einzelne Sachen versichert werden, sondern ein Sachinbegriff, das heißt, verschiedene Sachen werden als wirtschaftliche Einheit betrachtet.
Der Sonderfall betrügerischer Absicht, etwa zum Zweck der Beitragsersparnis, kann bei der Unterversicherung unberücksichtigt bleiben, da hier die Reduzierung der Versicherungsleistung automatisch eine Sanktionswirkung hat; außerdem bestünde ein grundsätzliches Nachweisproblem für den Versicherer, denn der eingeschränkte Versicherungsschutz kann beim Versicherungsnehmer durchaus erwünscht sein. Beispielsweise können Selbstbehalte als Form gewollter Unterversicherung interpretiert werden, zu diesbezüglichen Gestaltungsmöglichkeiten. Seine Leistung wird der Versicherer in der Regel als Geldleistung erbringen. Der bisherige §49 VVG-alt, der dies ausdrücklich vorsah, wird aber künftig nicht mehr beibehalten: Eine Sachleistung ist im Einzelfall sinnvoll und auch bisher schon durch abweichende Regelung üblich, zum Beispiel in der Glasversicherung durch Ersatz einer zu Bruch gegangenen Glasscheibe.
Die Fälligkeit der Geldleistung liegt normalerweise vor, wenn die Feststellung des Versicherungsfalles und seines Umfangs abgeschlossen ist. Dauert die Prüfung durch den Versicherer länger als einen Monat, kann der Versicherungsnehmer Abschlagszahlungen verlangen, sofern er die Verzögerung nicht selbst zu verantworten hat und die grundsätzliche Leistungspflicht des Versicherers unstrittig ist (§ 14 VVG).
Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag müssen innerhalb einer Frist von drei Jahren beim Versicherer geltend gemacht werden (nicht zu verwechseln mit den Anzeigepflichten im Schadenfall). Dies ergibt sich seit der Modernisierung des Schuldrechts aus § 195 BGB; die bisherige Sonderregelung für Versicherungsverträge von zwei bzw. bei Lebensversicherungen fünf Jahren ist somit entfallen. Zwischen der Anmeldung der Ansprüche und der Entscheidung des Versicherers ist die Verjährungsfrist unterbrochen (§ 15 VVG). Die sechsmonatige Frist, innerhalb der der Versicherungsnehmer nach altem VVG einen ablehnenden Entscheid des Versicherers vor Gericht anfechten konnte, ist entfallen.
Der Eintritt des Versicherungsfalles kann durch Personen herbeigeführt werden, die nicht Versicherungsnehmer, versicherte Person oder Repräsentant sind. In der Schadenversicherung bleibt dann die Leistungspflicht des Versicherers unberührt, doch hat er Möglichkeiten, diese Drittbeteiligten ganz oder teilweise in Regress zu nehmen. Der Anspruch des Versicherungsnehmers gegenüber Dritten geht insofern auf den Versicherer über, wenn dieser den Schaden ersetzt (§ 86 VVG).
Da der Versicherer aber imstande sein muss, den auf ihn übergegangenen Ersatzanspruch auch durchzusetzen, besteht eine entsprechende Obliegenheit des Versicherungsnehmers: Er muss im Rahmen seiner Möglichkeiten dafür sorgen, dass der Versicherer seine Rechte dem Dritten gegenüber geltend machen kann. Schon früher durfte er keine Ersatzansprüche aufgeben oder Rechte, die zu ihrer Sicherung dienten. Das neue VVG verpflichtet ihn zusätzlich zu aktivem Handeln und Mitwirken, um seine Rechte und Ansprüche aufrechtzuerhalten.
Bei Verletzung dieser Obliegenheiten greifen die schon in unserem Versicherung-Ratgeber dargelegten Leistungsbefreiungen des Versicherers: Dieser ist demnach vollständig leistungsfrei bei vorsätzlicher Obliegenheitsverletzung, bei grober Fahrlässigkeit nach Maßgabe des Verschuldens aufseiten des Versicherungsnehmers (Quotelung). In häuslicher Gemeinschaft lebende Familienangehörige (§67(2) VVG-alt) bzw. Personen (§86(3) VVG) können nicht in Regress genommen werden, es sei denn, bei vorsätzlichem Handeln. Durch dieses im neuen Recht erweiterte Familienprivileg werden in einem Haushalt zusammenlebende Personen in den Versicherungsschutz einbezogen.