Der Bund der Versicherten hat seit Jahren alle möglichen Gerichte mit Musterprozessen zu Grundsatzfragen in Sachen Versicherung beschäftigt. Inzwischen liegen insgesamt sechs Verfassungsbeschwerden zur Kapital-Lebensversicherung und zu den Wucherprämien in der Unfallversicherung beim Bundesverfassungsgericht. Der Bundesgerichtshof hat Ende 1994 und im Mai 2001 eingeräumt, dass die Versicherungsunternehmen Spielräume beim Umgang mit Versichertengeld haben und unternehmerische Verluste mit den Überschüssen aus Versichertengeld ausgleichen können. Der Gesetzgeber habe dies aber gesehen und gebilligt. Ähnlich äußerte sich das Bundesverwaltungsgericht im Jahre 1995.
Die Möglichkeiten des weit-gehend beliebigen Umgangs mit Versichertengeld seien systembedingt und vom Gesetzgeber gewollt. So auch das Hamburger Oberlandesgericht im Jahre 1989: Die Tatsache, dass Beitragsüberschüsse nicht bei den Versicherten ankämen, denen sie eigentlich zustünden, sei als Ergebnis des vom Gesetzgeber gewählten Systems der staatlichen Aufsicht hinzunehmen. Die staatliche Aufsichtsbehörde hat aber in den 100 Jahren ihrer Tätigkeit nie ihre eigentliche Aufgabe erkannt. Sie sollte – so die Reichsregierung zur Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert – die Gefahr schwerster Schädigung des Volkswohls, die von einem Missbrauch des Versicherungswesens droht, abwenden – also Veruntreuung, Kostenverschwendungen, Wucherprämien und ungerechtfertigte Gewinne verhindern.
Ähnlich wie die Gerichte hat sich aber auch die Aufsichtsbehörde stets auf die Gesetze berufen und – weil diese nun einmal Betrug und Veruntreuung legalisieren – nichts gegen den vielfältigen Missbrauch von Versichertengeld unternommen. Sie hat vielmehr stets üppige Prämien zugelassen, ja geradezu gefordert, damit die Versicherungsunternehmen nach Abzug der Versicherungsleistungen, Kostenverschwendungen und hoher Gewinne auch immer reichlich Geld übrig behielten, um die Ansprüche der Versicherten dauernd erfüllen zu können. Versicherung durch Aktiengesellschaften wurde zu einem – im Grunde unmöglichen – Glücksspiel mit staatlicher Gewinngarantie.
Im Bereich der Unfallversicherung geben die meisten Gesellschaften nur ein Viertel bis zu einem Drittel ihrer Einnahmen für Versicherungsleistungen aus, bei der Kfz-Insassenunfallversicherung nicht einmal zehn Prozent. Das heißt: 70 bis 90 Prozent der Einnahmen werden für Kosten und Gewinn verwendet. Bei 100 Euro sind das 70 bis 90 Euro! Das Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen (BAV) hat diesem wucherischen Treiben bisher tatenlos zugesehen und in einem Schreiben an den Bund der Versicherten gemeint, es sei nicht Aufgabe des BAV, überhöhte Prämien zu verhindern.
Öffentlichkeit, Politiker, Beamte und Richter sind dazu gebracht worden, an die Richtigkeit von Gesetzen und Darstellungen zu glauben, die in Wirklichkeit auf wissenschaftlich verkleideter Meinungsmache beruhen. Die Versicherungs-Aktiengesellschaften haben die Wissenschaft und die Fachpresse seit 100 Jahren so im Griff, dass von daher sogar eine Beeinflussung der Gesetzgebung, Rechtsprechung und Staatsaufsicht in einem den Unternehmen genehmen Sinn möglich wurde.
Gefahr drohte eigentlich nur noch von der vierten Gewalt im Staat – den Medien.
Diese werden aber zum einen durch millionenschwere Anzeigenaufträge neutralisiert oder diszipliniert. Außerdem nimmt die Branche direkt Einfluss auf die Journalisten, so ein Pressesprecher des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft, der die Öffentlichkeitsarbeit der Versicherungen als – so wörtlich – recht simpel beschrieben hat: Man erklärt den Journalisten einfach, was sie schreiben sollen und was sie nicht schreiben sollen. Das muss ja nicht unbedingt in Wanne-Eickel sein, es gibt schließlich dafür schönere Orte. So wurden Journalisten für mehrere Tage in wunderschöne Gegenden ins Ausland eingeladen, wo die Branche ihnen dann beigebracht hat, was sie schreiben sollen und was sie nicht schreiben sollen.
Außerdem versuchen neuerdings viele Massenmedien, selbst oder mit Software-Anbietern entwickelte Informationsmittel (CDs, Bücher) zu verkaufen, und betreiben für diese nicht nur kostenlose, sondern auch unzulässige Werbung, öffentlich-rechtliche Anstalten sogar in Verbraucher- und Wirtschaftssendungen. Aus Flops werden Tops, meinte dazu die Zeitschrift DM und berichtete, dass öffentlich-rechtliche Sender an solchen Angeboten kräftig mitverdienen, dass es aber auch schon ein Urteil des Landgerichts Mannheim (70119/95) gibt, wonach öffentlich-rechtlichen Sendern verboten ist, im Programmteil für den Kauf eines Computerprogramms zu werben. Ähnlich wird kräftig abkassiert durch Fax-Abrufe, die oft nutzlose Informationen enthalten.
Klar, dass solche Kooperationen und Verdienstmöglichkeiten auch die Objektivität der Wirtschaftsredakteure beeinflusst haben. Tops (z.B. Informationsmittel von Verbraucherorganisationen) wurden in den wichtigen Informationssendungen nicht erwähnt, geschweige denn vorgestellt. Für die eigenen Angebote (oft schlechte und zu teure Flops) wurde dagegen zu den besten Sendezeiten kräftig geworben. Professor Reifner vom Hamburger Institut für Finanzdienstleistungen, der in diesem Bereich eigene praktische Erfahrungen mit Redaktionen gemacht hat, schrieb dazu: Mir drängt sich der Verdacht auf, dass auf dem Markt befindliche Programme einfach auf dem Umweg über Zeitschriften und auch über WISO und ARD zu Verbraucher-Programmen umgemodelt werden, wobei die Redaktion weniger an Qualität und Objektivität, sondern mehr an einem möglichst guten Vertrieb interessiert ist. Inzwischen haben viele Medien erhebliche Einnahmen aus dem Geschäft mit dem kostenpflichtigen Fax-Abruf von Informationen.
Im Übrigen können solche Ratgeber allenfalls Teilprobleme lösen, niemals aber die komplexen Versicherungsprobleme des einzelnen Haushalts. Das ist im Grunde nur durch eine begleitende Beratung möglich. Eine solche neutrale und qualifizierte Versicherungsberatung kann und darf aber nur durchgeführt werden durch gerichtlich zugelassene Versicherungsberater (wie sie z. B. der Bund der Versicherten beschäftigt) und durch Verbraucherzentralen. Mit Recht hat ein ehemaliger Richter am Bundesgerichtshof die Medieninformation in Sachen Versicherung kritisiert: Komplexe Sachverhalte werden häufig nicht angemessen dargestellt. Was wäre, wenn ein junger Familienvater berufsunfähig wird, verstirbt oder tödlich verunglückt?
Viele Invaliden, Witwen und ihre Kinder leben heute von Sozialhilfe! Dieses finanzielle Elend müsste den Verbrauchern vor Augen geführt werden als Folge von Informationsunlust und entsprechend falscher privater Absicherung. Natürlich ist es schwieriger, Überversicherungen zu berichten als über Autos oder Urlaubsreisen. Auch für eine Nachrichtenredaktion ist es einfacher und attraktiver, über eine Bluttat zu berichten als z. B. über eine öffentlich aufgestellte Forderung nach mehr Verbraucherschutz im Versicherungswesen. Ein Toter – mit Blaulicht und rotem Blut – schlägt problemlos Millionen Falschversicherte, die wegen ihrer mangelhaften Absicherung morgen im finanziellen Elend leben können.
Versicherung ist ein existenziell wichtiges, aber auch ein abstraktes, komplexes und individuelles Problem. Mit Ideen und Engagement kann man jedoch auch über einzelne Versicherungsprobleme in interessanter Form informieren, wie einige wenige Medienberichte beweisen. Aber gerade viele Wirtschaftsredaktionen haben die Komplexität und Individualität von Versicherungsproblemen bislang noch nicht erkannt. Jedenfalls kann man mit Kleckersendungen zu Versicherungsproblemen und mit den in den Sendungen angepriesenen selbstentwickelten Büchern, Fax-Abrufen und CDs den Bundesbürgern nicht helfen, ihre komplexen und vor allem individuellen Versicherungsprobleme zu lösen. Hier wird in den nächsten Jahren zum Glück das Internet für Veränderungen sorgen.
Die Medien sollten sich darauf beschränken, permanent das Informationsinteresse der Bürger in Sachen Versicherung zu wecken. Sie sollten aber die Information und die begleitende Beratung des Einzelnen den Versicherungsexperten der Verbraucherorganisationen oder gerichtlich zugelassenen Versicherungsberatern überlassen. Bisher haben die meisten Wirtschaftsredaktionen das durchaus vorhandene Informationsinteresse der Bundesbürger kaum aktivieren können, sonst wären fast alle Familien nicht so katastrophal falsch versichert, sonst würden Hunderttausende von Invaliden mit ihren Familien und Hunderttausende von Witwen und Waisen nicht in finanzieller Not leben.