Beispiel: Alberto G. fährt mit seinen Töchtern Lea und Aline zum Samstagseinkauf ins Shoppingcenter. Auf einer stark befahrenen Ausfallstrasse steht er eingespart zum Linksabbiegen und wartet auf eine Lücke im Verkehr. Plötzlich taucht aus der Gegenrichtung ein Auto mit stark übersetzter Geschwindigkeit auf Der Lenker verliert die Kontrolle über das Fahrzeug und prallt frontal in den Wagen von Alberto G. Die Polizei wird gerufen und die Insassen beider Unfallautos müssen mit der Ambulanz ins Kantonsspital gefahren werden. Als sich Herr G. am nächsten Tag im Spital wieder halbwegs fassen kann, spürt er gros- se Schmerzen in der Brust, im Rücken und im Nacken. Das linke Bein ist beim Aufprall gebrochen und liegt im Gips. Die beiden Mädchen konnten glücklicherweise schon wieder nach Hause. Ihn aber plagen dutzende Fragen: Ich kann am Montag nicht zur Arbeit, erhalte ich den Lohn trotzdem? Was ist mit den Rechnungen? Wer bezahlt die ganzen Kosten von Ambulanz und Notfallstation, den Schaden am Auto? Was, wenn ich gar nicht mehr gesund werde?
Bei einem Unfall spielen viele Faktoren zusammen. Um die juristische Knacknuss zu öffnen, müssen Sie zuerst wissen, ob ein Unglücksereignis als Unfall im rechtlichen Sinn gilt. Denn wenn nicht, zahlt natürlich auch keine Versicherung Unfallleistungen. Was sagt das Gesetz? Ein Unfall ist die plötzliche, nicht beabsichtigte schädigende Einwirkung eines ungewöhnlichen äußeren Faktors auf den menschlichen Körper, die eine Beeinträchtigung der körperlichen, geistigen oder psychischen Gesundheit oder den Tod zur Folge hat.
Hinweis:Die Definition des Unfalls wirkt eher kompliziert und lebensfremd. Lassen Sie sich aber nicht abschrecken. Es lohnt sich, der Sache auf den Grund zu gehen. Denn wenn ein Unfall nicht als solcher anerkannt wird, ist der Versicherungsschutz meist viel schlechter. Sie haben nur Anspruch auf Leistungen der Krankenkasse und diese zahlt beispielsweise kein Taggeld. Wenn jemand gar invalid wird, muss er sich mit den Leistungen der Invalidenversicherung und allenfalls der Pensionskasse begnügen (mehr dazu auf unserem Versicherung-Ratgeber).
Also sehen Sie sich den Gesetzestext genauer an. Sie kommen dem Inhalt auf die Spur, indem Sie quasi den juristischen Nussknacker gebrauchen und die rechtliche Definition des Unfalls in die einzelnen Elemente, die Wörter und Begriffe, zerlegen. Zunächst lässt sich die Definition in zwei Hälften trennen.
1. Einerseits wird das Unglück selbst beschrieben. Es muss
– plötzlich eintreten,
– nicht beabsichtigt,
– ungewöhnlich sowie
– ein äußerer Faktor sein.
2. Andererseits geht es um die Auswirkungen, die Folgen des Ereignisses. Es muss:
– eine Einwirkung auf den Körper haben,
– die zur Beeinträchtigung der Gesundheit oder zum Tod führt.
Als dritte, an sich selbstverständliche Bedingung müssen die beiden Hälften der Knacknuss zusammenpassen: Das konkrete Unglück (erster Teil der Definition) muss die entsprechenden Auswirkungen auf den Körper haben (zweiter Teil der Definition), also zur Beeinträchtigung der Gesundheit oder zum Tod der verunfallten Person führen. Die Juristen nennen dies Kausalzusammenhang. Damit werden diejenigen Gesundheitsschäden ausgeschlossen, die unter Umständen zusätzlich vorhanden sind, aber nichts mit dem Unfallereignis zu tun haben. Kausalitätsfragen sind dann schwer zu lösen, wenn ein an sich leichter Unfall wegen einer bereits bestehenden Erkrankung schwere Folgen nach sich zieht (mehr dazu auf unserem Versicherung-Ratgeber).
Beispiel: Bei Alberto G. aus dem Eingangsbeispiel ist der Kausalzusammenhang gegeben: Seine zahlreichen Verletzungen, die Beeinträchtigung seiner Gesundheit, sind die Folge der Frontalkollision. Herr G. hat damit Anspruch auf Unfall-Versicherungsleistungen. Anders sieht die Situation aus, wenn Herr G. beim Unfall unverletzt bleibt, sich aber danach mit dem anderen Autofahrer derart heftig streitet, dass er einen Herzinfarkt erleidet. Dann liegt kein Kausalzusammenhang zwischen der Kollision und der Beeinträchtigung der Gesundheit vor. Die Versicherungen zahlen keine Unfall Leistungen.
Plötzlich und nicht beabsichtigt
Um die Nuss nun gänzlich genießbar zu machen, lösen Sie die beiden Hälften aus ihren Schalen und betrachten die einzelnen Elemente. Zuerst das Unglück selbst.
Wenn es einfach kracht
Das Unglück muss plötzlich passieren, das heißt: Es muss von kurzer Dauer sein. Wenn Sie stürzen oder einen Schlag erhalten, geschieht das unvermittelt, also plötzlich. Die Gerichte sind allerdings nicht ganz konsequent: in Ausnahmefällen wurde auch schon eine mehrstündige Einwirkung als plötzlich angesehen (zum Beispiel radioaktive Bestrahlung). Lassen Sie sich aber von solchen Ausreißern nicht irritieren. Normalerweise heißt plötzlich auch bei den Gerichten plötzlich.
Beispiel: Alberto G. wartet mit seinem Auto, um nach links abzubiegen, als der entgegenkommende Wagen mit ihm kollidiert. Das Unglücksereignis geschieht nicht über einen längeren Zeitraum hinweg, sondern unvermittelt, innerhalb eines kurzen Moments. Mit anderen Worten, es geschieht plötzlich – also ein Unfall, kein Zweifel. Das Gegenteil von plötzlich eintretenden sind länger anhaltende Ereignisse: etwa eine lange Sonneneinstrahlung, die zu einem Sonnenstich, Sonnenbrand oder Hitzschlag führt; ein Aufenthalt in der Kälte, der zu Erfrierungen führt, oder Schädigungen durch längere Einwirkung von Vibrationen (zum Beispiel bei der Arbeit mit einem Presslufthammer). All diese Verletzungen gelten rechtlich nicht als Unfall, weil sie über einen längeren Zeitraum entstanden sind.
Interessant wird es bei Vergiftungen. Hier differenzieren die Gerichte. Wenn es sich um einen einmaligen Vergiftungsvorfall handelt und sich das Gift schnell auswirkt, liegt ein Unfall vor. Bei mehrmaligen und über längere Dauer anhaltenden Vergiftungen handelt es sich dagegen rechtlich gesehen um eine Krankheit.
Tipp: Möchten Sie gern genauer wissen, wo die zeitliche Grenze liegt? Leider haben bisher weder die Rechtsprechung noch der Gesetzgeber eine solche festgelegt. Wenn Sie daher mit einem Versicherer Minutiös Differenzen wegen der Auslegung des Kriteriums der Plötzlichkeit (oder eines anderen Rechtsbegriffs) haben, holen Sie unbedingt fachkundigen Rat ein – bei einer Rechtsberatungsstelle oder einer Anwältin.
Das wollte ich nicht
Eigentlich ist es klar, dass jemand, der sich absichtlich selbst Schaden zufügt, keine Leistungen der Versicherung beanspruchen kann. Um möglichst große Klarheit zu haben, muss jedoch auch das an sich Selbstverständliche in der rechtlichen Definition des Unfalls erwähnt werden. Wie immer in der Wursterei sind auch hier die Grenzbereiche interessant: Als beabsichtigt gilt es nämlich auch, wenn jemand eine Schädigung zwar nicht gerade als Hauptziel will, aber ein derart großes Risiko eingeht, dass er mit einer Verletzung oder gar dem Tod rechnen muss. Auch in der Umgangssprache werden ja gewisse Handlungen als selbstmörderische Aktion bezeichnet. Versucht sich beispielsweise ein Ungeübter an einem James-Bond-Stunt und springt aus grösser Höhe von einer Brücke ins Wasser, nimmt er Verletzungen oder gar den Tod in Kauf. Die Versicherungen zahlen nicht. Anders wird derselbe Sprung beurteilt, wenn ihn ein geübter Stuntman ausführt. Dieser geht ein kalkuliertes Risiko ein, kennt die Gefahren und hat entsprechende Sicherheitsvorkehrungen getroffen. Verletzt er sich trotzdem, bezahlen die Versicherungen.
Die Gerichte haben in diesen Grenzbereichen heikle Fragen zu entscheiden. Maßgebend sind jeweils die Urteile des Eidgenössischen Versicherungsgerichts (EVG), der obersten Instanz in Versicherungsfragen. Ab und zu lassen die Richter auch Gnade vor Recht walten. Wie hätten Sie den folgenden Fall entschieden?
Hinweis: Ein Versicherter erwürgte sich mit einer selbst angebrachten Vorrichtung bei autoerotischen Handlungen (Selbstbefriedigung) unabsichtlich. Das Eidgenössische Versicherungsgericht bejahte hier den Unfallbegriff: Das Würgen als sexuelle Stimulation sei zwar gewollt gewesen, den Tod habe der Versicherte aber weder gewollt noch in Kauf genommen. Die Unfallversicherung musste bezahlen.
Das passiert nicht alle Tage: die Ungewöhnlichkeit
Achtung, dieser Teil der ersten Nusshälfte ist wichtig. Der Ungewöhnlichkeit kommt in der Praxis eine große Bedeutung zu. Die Unfallfrage entscheidet sich sehr oft daran, ob ein Ereignis als ungewöhnlich akzeptiert wird oder eben nicht.
Was ist nun also mit ungewöhnlich gemeint? Ungewöhnlich ist ein Ereignis, das den Rahmen des Alltäglichen überschreitet. Die Versicherungen sollen nicht für jede Lappalie zahlen müssen. Das EVG umschreibt das so: Ausgeschieden werden sollen die tausendfältigen kleinen und kleinsten Insulte des täglichen Lebens, die als solche gänzlich unkontrollierbar sind. Infektionen und Erkältungen also fallen außerhalb des Unfallbegriffs – was an sich selbstverständlich ist.
Der Ungewöhnlichkeit wurde in der Gerichtspraxis viel Aufmerksamkeit gewidmet. Die Urteile sind so zahlreich, dass sich einzelne Fall- Gruppen bilden lassen. Die wichtigsten sind im Folgenden aufgeführt und kurz erklärt. Schauen Sie sich die Gruppen an, vielleicht finden Sie gerade hier die Lösung für Ihre Frage.
Unkoordinierte Bewegungen – das ist falsch gelaufen
Unkoordinierte Bewegungen sind ungewöhnlich, wenn der Bewegungsablauf durch etwas Programmwidriges – das heißt der ursprünglichen Absicht Zuwiderlaufendes – oder Sinnfälliges wie Ausgleiten, Stolpern, reflexartiges Abwehren eines Sturzes gestört wird.
Beispiel: Kuby K. rennt beim Fußballspielen dem Ball nach, stolpert über ein Grasbüschel und verdreht das Fußgelenk. Die ursprüngliche Absicht, das Programm, war natürlich nicht, zu stolpern, sondern, den Ball zu führen. Flyer ist es also falsch gelaufen. In einem neuen Urteil entschied das Bundesgericht über einen Vorfall beim Reiten. Das Gericht hielt fest, dass es durchaus nicht unüblich sei, dass ein Pferd stolpere und der Reiter zu Boden stürze. Programmwidrig und damit nicht mehr üblich sei erst ein Einknicken des Pferdes mit beiden Beinen. Weil das nicht der Fall war, erhielt der Reiter keine Leistungen der Unfallversicherung.
Sport und Überanstrengung – wer sich zu viel zumutet
In dieser Fallgruppe geht es um Schädigungen beim Sport und als Folge von Überanstrengungen, etwa beim Wandern. Solche Vorfälle gelten als ungewöhnlich, wenn sie angesichts der Konstitution und der gewohnten Tätigkeiten des Versicherten außerordentlich sind und nicht zu erwarten waren. !e weniger trainiert Sie sind und je mehr Sie sich zumuten, desto eher müssen Sie mit einer Zerrung rechnen – desto weniger ungewöhnlich ist ein solcher Gesundheitsschaden also. Grundsätzlich werden Sportunfälle ohne weiteres als Unfälle anerkannt. Die Gerichte haben hier jeweils praxisnah und versicherten- freundlich entschieden. Als ungewöhnlich gelten nicht nur Verstöße gegen die Spielregeln (Foulspiel). Vor allem bei Sportarten mit Körperkontakt reicht bereits eine äußere Einwirkung auf den Körper, damit eine Verletzung als Unfall akzeptiert wird. Die Richter lassen hier Gnade vor Recht walten, weil sonst zu viele Sportverletzungen nicht als Unfall gelten würden – etwa ein Jochbein Bruch nach einem regelkonformen Bodycheck im Eishockey.
Wer Fußball oder Eishockey spielt, kann im Gegensatz zum Reiter aufatmen: Die Versicherung bezahlt. Wie verhält es sich aber bei anderen Sportarten, wo kein direkter Körperkontakt stattfindet? Ohne Einwirkung von außen kommt es wieder auf die Programmwidrigkeit des Bewegungsablaufs an. Zusätzlich wird von den Gerichten auch die sportliche Erfahrung mit berücksichtigt. Sehen Sie sich dazu das folgende Beispiel an.
Beispiel: Ungewöhnlich ist, wenn eine trainierte Turnerin sich beim Abschluss eines Hechtsprungs verletzt. Dann liegt rechtlich ein Unfall vor. Führt hingegen eine ungeübte Person den gleichen Hechtsprung aus, liegt die Sache anders: Ein schlechter Abschluss des Sprungs ist geradezu vorauszusehen und nicht ungewöhnlich – also kein Unfall.
Gleich verhält es sich bei Überanstrengungen: Wer untrainiert einen Marathon bestreitet und mit einem Kreislaufkollaps zusammenbricht, muss sich nicht wundern, wenn die Unfallversicherung nicht zahlen will. Anders wäre das wiederum bei einem geübten, trainierten Läufer. Auch ihn kann eine körperliche Schwäche ereilen – was aber nicht zum Voraus absehbar ist.
Zahnschäden beim Essen
Sie beißen auf etwas Hartes und schon ist der eben erst plombierte Eckzahn abgebrochen. Das ist nicht nur unangenehm, sondern kann auch teuer werden. Weil die Krankenkassen bei Zahnschäden im Allgemeinen nichts bezahlen, stellt sich die Unfallfrage hier besonders akzentuiert: Ist das Abbrechen des Zahnes nämlich ein Unfall, übernimmt die Unfallversicherung die Kosten. Wenn nicht, müssen Sie den Zahnarzt selbst berappen (außer Sie haben eine teure Zusatzversicherung abgeschlossen). Auch diese Frage lösen die Gerichte mit dem Kriterium der Ungewöhnlichkeit: Zahnschäden beim Essen sind dann ungewöhnlich und damit ein Unfall, wenn sie durch einen Gegenstand verursacht werden, der im betreffenden Nahrungsmittel üblicherweise nicht enthalten sein sollte. Typische Beispiele sind die Nussschale im Nuss Brot und der Knochensplitter in der Wurst – gemäß Urteilen unabhängig davon, ob es sich um eine grobe oder feine Füllung, also um Landjäger oder Cer- Velat, handelt. Umgekehrt sind Dekorationsperlen auf oder in einem Kuchen, ein Zwetschgenstein im Tuttifrutti oder die Plastikfigur im Königskuchen gewöhnlich.
Urteil:Tommy M. brach sich im Zivilschutzkurs beim Essen eines Toten- Benli (Biskuit mit ganzen Haselnüssen) den rechten oberen Eckzahn ab, der bereits plombiert war. Das Eidgenössische Versicherungsgericht verneinte einen Unfall: Nur weil beim Kauen harter Nahrung ein Zahn abgebrochen sei, lasse sich noch kein Unfall im Rechtssinn ableiten. Auch sei eine Plombe allein kein ungewöhnlicher Faktor. Und dass ein zusätzlicher Faktor eine Rolle gespielt hätte, sei nicht bewiesen. Die Unfallversicherung musste deshalb die Zahnarztrechnung nicht übernehmen. Anders hätte das Gericht entschieden, wenn der Zahn nachweislich wegen eines Stücks Nussschale im Biskuit abgebrochen wäre.
In einem neuen Urteil hat das EVG festgehalten, dass man auch mit Schrotkugeln im Wildgericht rechnen müsse. Beißen Sie sich beim Verzehr einer solchen Speise einen Zahn aus, liegt also kein Unfall vor. Die Zahnarztkosten bleiben an Ihnen hängen.
Tipp: Wenn Sie beim Essen auf etwas Hartes beißen und dabei einen Zahn beschädigen, bewahren Sie das Korpus delikat (zum Beispiel das Steinchen) auf. Gut ist, wenn Sie Zeugen für den Vorfall haben. Notieren Sie sich Namen und Adressen. Das mag etwas übertrieben wirken. Doch wenn Sie später Versicherungsleistungen beanspruchen wollen, sind Sie unter Umständen auf Beweismittel angewiesen.
Zeckenbisse
Das Risiko, Opfer eines Zeckenbisses mit schlimmeren Folgen zu werden, hat sich in der Schweiz in den letzten Jahren stark erhöht. Glück gleicherweise sind die durch Zeckenbisse verursachten Erkrankungen (Neuroborreliose, Lamé-Krankheit, Frühsommer-Meningitis) immer noch relativ selten und lokal begrenzt. Auch dieses neuere Phänomen gab schon Anlass zu Gerichtsurteilen: Solange Zeckenbisse mit aus –Zero ordentlichen gesundheitlichen Folgen noch nicht verbreitet – das heißt geradezu alltäglich – sind, wird ihnen die Ungewöhnlichkeit zugestanden. Eine solche Erkrankung gilt also als Unfall. Sollten sich solche Vorfälle allerdings weiter ausbreiten und immer häufiger anzutreffen sein, wird sicherlich mit der Zeit die Frage gestellt, ob sie noch als ungewöhnlich gelten können.
Vorfälle beim Baden und Tauchen In diesem Bereich hat die Rechtsprechung einige interessante, feinjuristische Unterscheidungen herausgearbeitet:
• Als ungewöhnlich wird in der Regel der Tod durch Ertrinken akzeptiert (Eindringen von Wasser in die Lunge). Das gilt natürlich nicht, wenn jemand ins Wasser geht, sich also selbst tötet
• Kein Unfall liegt vor, wenn die badende Person im Wasser einen Herzinfarkt erleidet und daran stirbt, bevor sie untergeht. Die Begründung dafür lautet, dass der Aufenthalt im Wasser an sich noch nicht ungewöhnlich sei (und auch nicht zum Tod geführt hat). Insofern besteht hier kein Unterschied zu einem Herzinfarkt an Land.
• Dazu noch eine Untervariante: Wird der oder die Badende bloß plötzlich ohnmächtig und ertrinkt danach, gilt dies wieder als Unfall. Der Tod tritt ja durch das Eindringen des Wassers in die Lunge ein, nicht durch die Ohnmacht oder den Anfall selbst.
• Besonders ausgeklügelt ist die Betrachtungsweise bei Tauchvorfallen. Sie gelten als ungewöhnlich, wenn die Schädigung durch allzu rasche Kompression und Dekompression verursacht wird. Das allerdings nur, wenn eine angemessene, übliche Ausrüstung verwendet wurde oder sich etwas Ungewöhnliches ereignete.
Medizinische Maßnahmen und ärztliche Eingriffe
Wird im Rahmen einer medizinischen Behandlung ein Feld begangen, kann dieser ausnahmsweise – aber wirklich nur ausnahmsweise – als Unfall gelten. Verlangt wird eine grobe und außerordentliche Verwechslung, Ungeschicklichkeit oder sogar eine absichtliche Schädigung. Wer sich vorhalten lassen muss, der ärztliche Fehler sei absehbar gewesen, hat bei einer verunglückten Behandlung keinen Anspruch auf Leistungen. Übertrieben gesagt: Wer von einem Viehdoktor eine Herzoperation vornehmen lässt, darf sich nicht wundern, wenn die Operation schiefgeht. Das Misslingen ist hier nicht mehr ungewöhnlich, sondern geradezu zu erwarten – also keine Leistungen der Unfallversicherung.
Verunglückte Behandlung: Unfall oder nicht?
Unfall ja
• Zweimalige Transfusion falscher Blutgruppen infolge einer unentschuldbaren Verwechslung von Blutröhrchen
• Einspritzen eines falschen Kontrastmittels für eine Untersuchung in zu starker Dosis, was den Tod des Patienten verursachte
• Intravenöse Injektion eines Anästhesiemittels in zu hoher Dosis und mit zu hoher Durchlaufgeschwindigkeit
Unfall nein
• Ungenügende Überwachung nach der Operation (der Eingriff selbst war in Ordnung und nach den Regeln der ärztlichen Kunst durchgeführt)
• Schädigung von Nerven an der Hand bei einer äußerst schwierigen, heiklen Operation an Narbengewebe
• Verletzung der Schädelgrube bei einer Operation der Nasennebenhöhlen, die zwar vom medizinisch Üblichen abwich, dies aber nicht in erheblichem Maß (das Risiko dieser Komplikation ist laut Gericht bekannt)
Wird ein Behandlungsfehler als Unfall eingestuft, fragt sich auch, ob der Verursacher (Ärztin, Pfleger etc.) haftpflichtig ist. Die Haftpflicht des Arztes und die Leistungspflicht der Unfallversicherung sind jedoch zwei Paar Schuhe: Die Unfallversicherung wird leistungspflichtig, wenn ein Unfall vorliegt. Damit der Arzt haftpflichtig gemacht und seine Haftpflichtversicherung in Anspruch genommen werden kann, muss ihm ein Verschulden – ein Kunstfehler – nachgewiesen werden können (mehr dazu auf unserem Versicherung-Ratgeber).
Bei den Beispielen aus der Gerichtspraxis im Kasten nebenan ging es nicht um die Präge der Haftpflicht, sondern nur darum, ob die Voraussetzungen für einen Unfall gegeben waren. Ist der Arzt auf massive, unverständliche und gefährliche Art vom gebotenen Verhalten abgewichen? Oder ist ihm Bloß ein weniger gravierender Fehler unterlaufen?
Hinweis: Die Beispiele zeigen, dass die Abgrenzung undeutlich ist. Der Übergang vom üblichen Behandlungsrisiko, das man eingehen muss, zur groben und damit unüblichen Abweichung vom einkalkulierten Risiko ist schwammig. Im Zweifelsfall und bei Problemen mit der Unfall-versicherung sollten Sie deshalb sachkundigen Rat einholen.
Der Auslöser: ein Faktor von außen
Eine Hirnblutung ist plötzlich, unbeabsichtigt und kann auch ungewöhnlich sein – weil sie sich im Innern des Körpers abspielt, ist sie trotzdem kein Unfall. Damit ein Ereignis als Unfall angesehen wird, muss es sich in der Außenwelt abspielen. Ein solcher Faktor von außen können etwa mechanische, thermische, chemische und elektrische Kräfte oder Strahlen sein. Ein Unfall ist beispielsweise:
• die Verletzung durch eine herabfallende Eisenstange auf einer Baustelle (mechanisch)
• die Verbrennung der Hand am Backofen (thermisch)
• die Hautverätzung durch eine Säure (chemisch)
• die Verbrennung oder der Schlag durch ein ungesichertes Stromkabel (elektrisch)
• die Schädigung durch ein defektes Röntgengerät oder ein Leck in einem Atomkraftwerk (Strahlung)
Das schädigende Ereignis muss sich zwar außerhalb des Körpers abspielen, die Folgen können sich aber durchaus im Körperinneren auswirken: Ein Schlag auf den Kopf etwa kann eine Hirnerschütterung verursachen, ohne eine äußerlich sichtbare Verletzung zu hinterlassen. Auch das gilt klar als Unfall In gewissen Fällen hat die Rechtsprechung auch hier die Kriterien extensiv, das heisst weit, interpretiert, damit Versicherungsleistungen zugesprochen werden können. Beispielsweise bei der Mundhöhle: Diese wird als Grenzfall noch zur Außenwelt gezählt, was den Gerichten ermöglicht, Verletzungen durch das Beißen auf die eigene Zunge oder das Hinunterschlucken des eigenen Gebisses als Unfälle zu qualifizieren.